In der überfüllten Abflughalle des Internationalen Flughafens Liszt Ferenc herrschte das übliche geschäftige Treiben: Das monotone Quietschen der Gepäckrollen, die unverständlichen Worte des Ansagers und das nervöse Treiben der Passagiere erfüllten die Luft.
Doch dieses übliche Summen wurde plötzlich von einem heiseren, unheilvollen Bellen unterbrochen. Rex, der erfahrene, siebenjährige Deutsche Schäferhund, der zuvor ruhig neben seinem Partner, dem Sicherheitsbeamten, gelegen hatte, sprang nun wie ein Sturm auf und stürmte wütend auf ihn zu.
„Rex! Rex, halt!“, rief Maxim, ein Sicherheitsbeamter Mitte dreißig in enger Uniform, der seit Jahren mit dem Hund arbeitete.
Doch der Hund schien ihn nicht gehört zu haben. Sein Weg führte direkt zu einer jungen Frau, die auf einer Bank saß, eine Hand auf dem Bauch, die andere versuchte, sich unter ihrem dünnen Fell warm zu halten. Ihr Gesicht war blass, ihre Augen voller Angst. Die Frau war … schwanger.
„Bitte, holt den Hund hier raus!“, schrie sie. „Was macht er da? Warum… warum bellt er mich an?“
Rex rührte sich nicht. Er stand in angespannter Haltung vor ihr, knurrte und sprang manchmal auf und ab, als wolle er jemanden angreifen oder warnen. Die Menschen um sie herum erstarrten. Einige griffen nach ihren Handys, andere wichen zurück.
„Rufen Sie den Tierpfleger!“, ertönte die Stimme eines übereifrigen Passagiers.
Doch Maxim stand einfach nur da und umklammerte Rex’ Leine mit verschwitzten Händen. Der Hund hatte noch nie so reagiert.
„Das ist nicht normal“, murmelte er vor sich hin. „Rex hat nicht Unrecht … niemals.“
Er ging zu der Frau, die wie Espenlaub zitterte.
„Madam, bitte stehen Sie auf“, sagte er bestimmt, aber höflich. „Sie müssen mit uns durch eine kurze Sicherheitskontrolle. Nichts Ernstes, nur … Protokoll.“
„Aber ich … ich fahre doch nur nach Hause nach Szeged! Kontrollieren Sie mein Ticket!“, protestierte die Frau. „Mein Name ist Veronika Kiss, ich bin im achten Monat schwanger! Ich habe nichts getan!“
„Ich verstehe, Veronika. Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Wir müssen nur sichergehen“, erwiderte Maxim, während ein anderer Wachmann bereits den Sicherheitsraum anrief.
Rex knurrte weiter, nicht nur die Frau an, sondern auch einen der Koffer neben ihr. Maxim blickte auf die Tasche, dann wieder zu Veronica.
„Ist das Ihr Gepäck?“
„Ja …“, nickte die Frau unsicher. „Ich habe nur ein paar Klamotten darin und meine Prüfungsunterlagen.“
„Okay“, sagte Maxim und bedeutete seinem Kollegen, sie in den Durchsuchungsraum zu führen.
Der Raum war kalt, steril, alles aus kaltem Metall. Veronica saß auf der Stuhlkante, die Hände immer noch auf dem Bauch.
„Sagen Sie mir, warum verhält sich dieser Hund so?“, fragte er. „Ich … ich habe wirklich nichts getan.“
„Das kann ich nicht entscheiden, Ma’am. Aber der Hund ist ausgebildet. Sprengstoff, Drogen, gefährliche Substanzen …“, erwiderte Maxim, während seine Kollegen die Tasche bereits durchsucht hatten. Sie fanden nichts.
Rex gab jedoch keine Ruhe. Er kratzte an der Tür, winselte und krallte sich in den Boden, als würde ihn etwas drinnen festhalten.
„Irgendetwas stimmt hier nicht“, flüsterte Maxim einer seiner Begleiterinnen, Eszter, zu.
„Stimme zu. Das ist zu seltsam.“
Veronika krümmte sich plötzlich.
„Mein Bauch … irgendwas … stimmt nicht!“, flüsterte sie schmerzerfüllt. „Das Baby … Gott, tut das weh!“
Maxim rief sofort per Funk das medizinische Personal. Als sie eintrafen, war Veronika bereits zu Boden gerutscht, ihr Gesicht war schweißgebadet.
„Gehen Sie zur Seite!“ – rief der Sanitäter, kniete sich neben ihn und griff nach seinem Bauch.
In diesem Moment bellte Rex so laut und heftig wie nie zuvor. Seine Schnauze knurrte, er drehte durch.
Der Blick des Arztes verfinsterte sich. Langsam nahm er die Hand von Veronikas Bauch.
– Das … das ist keine Geburt – sagte er mit blassem Gesicht. – Das … das ist etwas ganz anderes …
– Wieso ist das keine Geburt? – fragte Eszter geschockt, während Veronika nach Luft schnappte.
Der Arzt gab seinem Assistenten schnell ein Zeichen.
– Holen Sie sofort ein mobiles Ultraschallgerät!
Maxim spürte förmlich, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Rex’ Wut, Veronikas immer verzweifelter werdender Gesichtsausdruck und nun die Reaktion dieses Arztes … Es wurde immer deutlicher: Etwas stimmte ganz und gar nicht.
Veronika schüttelte mit Tränen in den Augen den Kopf.
„Bitte… ich weiß nicht… ich dachte nur… ich dachte, das Baby würde sich bewegen, aber… es war so seltsam. Manchmal fühlte es sich an, als würde etwas in mir drücken…“
Die Assistentin kam mit dem Ultraschall herein, und der Arzt schaltete sofort das Gerät ein. Schwarze und weiße Punkte flackerten auf dem kleinen Bildschirm, und die Ultraschallsonde wurde auf Veronikas Bauch gedrückt.
Rex verstummte plötzlich. Er stand einfach nur da, seine dunklen Augen beobachteten ihn, die Ohren geradeaus gerichtet. Der Raum wurde so still, dass selbst das Summen der Neonlichter laut schien.
Das Gesicht des Arztes wurde noch blasser.
„Das … das ist kein Fötus“, flüsterte er.
„Hier?!“ Maxim trat vor.
„Da ist ein Fremdkörper in der Bauchhöhle. Etwas, das implantiert wurde. Ein Gegenstand. Ich glaube … ein ferngesteuertes Gerät.“
Der Raum explodierte augenblicklich.
„Ruft SOFORT den Bombenräumdienst!“, schrie Maxim. „Alle raus aus dem Gebäude! Evakuieren! Höchste Alarmstufe!“
Rex bellte jetzt wieder, aber nicht aus Panik – aus Warnung.
Veronikas Gesicht verzerrte sich.
„Nein … ich wusste nichts davon … ich schwöre!“, schluchzte sie. – Sie sagten, es sei nur ein medizinischer Eingriff zum Schutz des Babys, zur Stabilisierung der Schwangerschaft … Sie sagten, es sei ein besonderer Schutz … Ich wusste nicht, was das war!
– Wer hat dir das gesagt? – fragte Eszter mit strahlendem Blick. – Mit wem hast du gesprochen? Wo ist es passiert?
– In einer Privatklinik in Óbuda … es war nicht billig … aber sie sagten, alles sei steril, alles professionell … – ihre Stimme zitterte.
– Wie heißt der Arzt? – fragte Maxim.
– Ein gewisser „Dr. Faragó“ … ich kenne seinen Vornamen nicht, das war alles, was auf dem Namensschild stand … ein dunkeläugiger, glatzköpfiger Mann … er war sehr überzeugend.
Die Feuerwehr war bereits eingetroffen und hob Veronika mit Hilfe der Ärzte vorsichtig auf die Trage. Inzwischen war das Gebäude bereits weitgehend geräumt, und im hinteren Teil des Flughafens wurde rasch ein provisorischer Operationssaal eingerichtet.
Rex wich der Frau keine Sekunde lang von der Seite. Als ahnte er: Er war nicht der Feind. Er war auch ein Opfer.
Zwei Stunden später…
Maxim saß in einem der Flughafenbüros, das Gesicht in den Händen vergraben. Vor ihm stand eine Tasse kalter Kaffee, und Rex lag still neben ihm, nun ruhig, aber wachsam.
Die Tür ging auf, Eszter trat ein.
„Wir haben die Ergebnisse“, sagte er leise.
„Ein Mini-Sprengsatz wurde installiert. Ferngesteuert. Das Plastikgehäuse war so konstruiert, dass es im Ultraschall nicht zu erkennen war. Veronika wäre wahrscheinlich als lebendes Inferno benutzt worden … zusammen mit dem Baby.“
Maxim ballte die Faust.
„Und sie wusste wirklich nichts davon?“
„Ein komplettes Opfer. Die gesamte Klinik operierte unter Decknamen, aber wir sind bereits im Netzwerk. Auch der Geheimdienst war eingeschaltet. Es ist keine lokale Angelegenheit. International.
„Geht es der Frau gut?“
„Ja.“ Der Eingriff war erfolgreich, das Implantat wurde entfernt, und … übrigens, sie war tatsächlich schwanger. Mit zwei Monate alten Zwillingen. Die Babys leben.
Maxim lächelte zum ersten Mal seit Langem. Rex spitzte die Ohren und gähnte.
„Du warst der Schlüssel, Kumpel“, er streichelte den Kopf des Hundes. „Du hast drei Leben gerettet. Und vielleicht Hunderte mehr.“
Eszter seufzte.
„Weißt du, was am schockierendsten ist?
„Veronika hat mir erzählt … sie hat sich nicht bei der Klinik beworben. Eine „Hilfsorganisation“ warb für werdende Mütter, die eine schwere Schwangerschaft durchmachten. Kostenlose Untersuchungen, medizinische Pakete … und sie glaubte ihnen.“
Maxim nickte finster.
„Sie haben geangelt. Und sie war der Köder.“
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Am nächsten Morgen – Sicherheitszentrum, Budapest
Veronika saß im Krankenhauskittel in einem Verhörraum. Ihre Augen waren umrandet, aber ihr Blick war klar. Neben ihr saß Eszter, die – entgegen dem Protokoll – nicht als Vernehmerin, sondern als Person anwesend war.
– Ich weiß nicht, wem ich glauben soll – flüsterte Veronika. – Ich war mir so sicher, dass sie es gut meinten. Alles war so überzeugend … so professionell, freundlich, aufmerksam.
– Hinter einer Terrororganisation stecken oft Menschen, die sich perfekt verkleiden – sagte Eszter. – Sie suchen sich keine Opfer von der Straße aus. Sie stellen die Falle.
Die Tür ging auf, Maxim trat ein, mit Rex an seiner Seite. Der Hund ging fast sofort zu Veronika und drückte sanft seine Nase in die Handfläche des Mädchens.
– Alles ist gut – sagte Maxim leise.
Veronika lächelte und streichelte Rex’ Kopf.
– Ich kann dir dafür danken, dass ich noch lebe. Und dass meine Zwillinge es auch tun.
– Der Name Der Name der Organisation lautet: Die zweite Chance – fuhr Maxim fort. – Das stand oben auf der Website. Tatsächlich steckt dahinter keine zivilgesellschaftliche Stiftung.
Eine internationale Gruppe – „medizinische Untersuchungen“ wurden in mehreren Ländern durchgeführt, und ähnliche Fälle wurden an mehreren Flughäfen gemeldet.
– Also… war ich kein Einzelziel?
– Nein – Eszter schüttelte den Kopf. – Leider nicht. Aber du warst die Einzige, deren Bombe nicht explodiert ist. Und weißt du, warum?
Rex hockte sich leise zu Füßen des Mädchens. Maxim sah ihn an und lächelte.
– Weil da ein Hund war, der nicht nur Gerüche, sondern auch die Wahrheit riechen konnte.
Abend – Flughafen, nach Schließung
Maxim ging allein am Rand der Landebahn entlang, begleitet von Rex’ Schritten.
– Weißt du, alter Krieger, du bist heute ein Held geworden. Obwohl ich glaube, du hast uns schon tausendmal unbemerkt gerettet – sagte er.
Rex wedelte mit dem Schwanz, doch seine Geste klang eher bescheiden als prahlerisch.
„Weißt du, normalerweise sage ich das nicht, aber … ich liebe dich, du verrücktes Ding“, fügte Maxim hinzu und tätschelte dem Hund die Seite.
Aus einiger Entfernung näherte sich Eszter mit einem Umschlag in der Hand.
„Der neueste Bericht“, sagte er und überreichte ihn. „Wir haben herausgefunden, dass ‚Dr. Carver‘ keine reale Person ist. Sein richtiger Name ist Anton Leman. Er ist Schweizer Staatsbürger, benutzte aber falsche Dokumente. Er war auf drei Kontinenten auf der Flucht.“
„Und jetzt?“
„Jetzt wissen wir, wonach wir suchen müssen. Und nach wem. Und dank Veronika … und Rex … sind wir der Zerschlagung des gesamten Netzwerks möglicherweise einen Schritt näher.“
Maxim nickte, nahm den Umschlag und blickte dann zum Sternenhimmel auf.
„Eine ‚zweite Chance‘, was? Das hat mir mal was bedeutet.“
Drei Monate später – Krankenhaus, Kreißsaal
„Pressen! Komm schon, Veronika! Noch einmal!“
Die Ärzte trieben ihn an, während Eszter seine Hand hielt und ihn aufmunternd anlächelte.
„Es ist fast geschafft! Es fehlt nur noch ein bisschen!“
Noch ein Schrei, und schließlich war der Raum erfüllt von den Schreien eines Neugeborenen. Dann, wenige Sekunden später, ertönte eine andere Stimme.
„Zwei gesunde Babys“, sagte die Geburtshelferin. „Ein Junge und ein Mädchen.“
Veronikas Tränen strömten ihr übers Gesicht. Sie lachte und schluchzte fast gleichzeitig.
„Das Mädchen sollte … Reka heißen“, sagte sie. „Und der Junge …“, lächelte sie, „soll Rex heißen.“
Epilog – Ein Jahr später
Im Park versuchte ein kleiner Junge, den Hund einzuholen, der vorsichtig vor ihm herlief, nicht zu schnell, aber gerade schnell genug, um ein Spiel daraus zu machen.
„Rex! Warte!“, lachte der kleine Junge.
Veronika saß mit einem Kinderwagen auf einer Bank, das kleine Mädchen schlief friedlich darin. Neben ihr unterhielten sich Maxim und Eszter mit Kaffee in der Hand.
„Ich glaube, ich glaube jetzt wirklich an Wunder“, sagte Veronika leise.
Maxim nickte.
„Und ich glaube, dass die Welt manchmal von einem Hund gerettet wird. Von einem treuen, schnüffelnden Herzen.“