Andrej nahm seine Mutter sanft bei der Hand und zog sie zur Seite, ließ Lena allein vor der versammelten Gesellschaft zurück. Dutzende Augenpaare hafteten an ihrem Kleid, ein stilles, aber unübersehbares Urteil in ihren Blicken.
Sie alle wussten, dass sie das Modell abgelehnt hatte, das ihre Schwiegermutter ihr vorgeschlagen hatte. Doch Lena konnte Glitzer und überflüssigen Prunk nicht ertragen. Ihr Kleid war nicht billig gewesen – im Gegenteil,
es war ein Meisterwerk schlichter Eleganz, klassisch und edel, aber ohne überflüssige Verzierungen. Die ersten geflüsterten Worte in der Menge erreichten ihr Gehör. Besonders deutlich hob sich die Stimme von Swetlana ab – jener Frau,
mit der Andrej einst eine Beziehung gehabt hatte. Swetlana hatte sich eine Zukunft an seiner Seite erträumt, nicht nur aus Liebe, sondern auch aus Kalkül. Ihr Vater bekleidete eine hohe Position in einer angesehenen Bank,
und sie wäre eine makellose Partie für Andrej gewesen. Ganz im Gegensatz zu Lena, die seine Mutter stets abschätzig als „mittellose Braut“ bezeichnete.
Lena ließ ihren Blick durch die Reihen der Gäste schweifen, von einem Gesicht zum nächsten. Sie begegnete nichts als Spott, unausgesprochene Verachtung, ein Lächeln hier und da, das nur ein Hauch zu überlegen war,
um freundlich zu wirken. Warum wunderte es sie überhaupt? Fast alle hier waren Gäste von Andrejs Mutter. Auf Lenas Seite befanden sich nur ein paar enge Freundinnen, die sich bewusst im Hintergrund hielten, als wollten sie sich vor dem unbehaglichen Spektakel schützen.
Ein stechender Schmerz wuchs in ihr, die ersten Tränen brannten bereits in ihren Augen. Andrej hatte sie nicht verteidigt. Er hatte nicht einmal versucht, sie zu stützen, vielleicht aus Angst, die finanzielle Unterstützung seiner Eltern zu verlieren.
Dieser Gedanke traf sie wie ein Blitz, ein spätes, aber unumstößliches Erwachen. Sie hatte einen Fehler gemacht. Einen schweren Fehler. Und nun wurde ihr mit erschreckender Klarheit bewusst: Sie hätte ihn nicht heiraten sollen.
So sehr sie ihn auch geliebt hatte – er würde immer in einer anderen Welt leben, einer Welt, die sie niemals wirklich betreten konnte. Ohne sich noch einmal umzusehen, drehte Lena sich abrupt um und rannte los.
Sie würde es ihnen nicht gönnen, sie weinen zu sehen. Draußen, vor dem festlich geschmückten Restaurant, hielt sie kurz inne. Die Hochzeitsfeier fand in einer exklusiven Location nahe einem ruhigen Park und einem Fluss statt.
Ohne nachzudenken, ließ sie sich von ihren Füßen dorthin tragen. Sie lief durch das Grün des Parks, das weiße Hochzeitskleid hob sich strahlend von der Natur ab, und Passanten warfen ihr verwirrte Blicke zu. Doch Lena kümmerte es nicht.
Sie hatte sich ein anderes Leben erträumt. Ein Leben mit einem Ehemann, den sie liebte – nicht mit seinem Geld. Eine Familie, die sich gegenseitig stützte, Kinder, gemeinsame Urlaube am Meer, genug, um gut zu leben, aber ohne in Luxus zu schwelgen.
Sie hatte Andrej nicht lange gekannt, aber als sie ihn getroffen hatte, war sie sicher gewesen: Das war er. Der Mann, mit dem sie sich eine Zukunft vorstellen konnte. Sie hatte ignoriert, wenn er unaufmerksam war, wenn er Verabredungen vergaß,
weil er sich mit Freunden vergnügte. Sie hatte es als Charme eines Mannes mit vielen Interessen abgetan. Doch nun, als sie sich erinnerte, wie sie Andrejs Mutter zum ersten Mal begegnet war, wusste sie, dass sie damals hätte gehen sollen.
Die Frau hatte ihr unverblümt ins Gesicht gesagt, dass ihr Sohn eine bessere Partie finden würde. Andrej hatte geschwiegen. Und das tat mehr weh als alles andere. Die Zukunft erschien ihr nun leer und ungewiss.
Die Hochzeitsgesellschaft lag hinter ihr, wie ein abgebrochenes Kapitel ihres Lebens. Am Fluss angekommen, ließ sich Lena im Gras nieder. Die Tränen, die sie so verzweifelt zurückgehalten hatte, brachen sich nun hemmungslos Bahn.
Sie weinte, bis ihr Körper erschöpft war. Als die Tränen schließlich versiegten, hob sie langsam den Blick. Ihre Augen fielen auf eine Bewegung am anderen Ufer. Auf der Anhöhe, dort, wo eine Absperrung den Rand sicherte, stand eine alte Frau.
Sie hatte die Barriere überschritten – das konnte kein Zufall sein. Lena sah genauer hin: Die Frau schloss die Augen, bewegte die Lippen, als bete sie. Ihr Gesicht war eingefallen, die Kleidung einfach, fast ärmlich.
Ein Gefühl der Unruhe durchströmte Lena. „Was machen Sie da?“, rief sie. „Sie wollen doch nicht etwa…?“ Die alte Dame öffnete langsam die Augen und sah Lena an. Ihr Blick glitt herab auf das weiße Kleid der jungen Frau.
„Verzeih mir, Kind“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Ich dachte nicht, dass hier jemand ist. Ich wollte nicht stören…“ Lena spürte Erleichterung. Die Frau sprach – das war ein gutes Zeichen. „Warum denken Sie so? Manchmal sieht es schlimmer aus, als es ist, aber…“
Die Alte schüttelte den Kopf. „Nein, mein Kind. Wenn man zur Last wird – der eigenen Familie, die einen aus dem eigenen Haus treiben will, für das man sein Leben lang gearbeitet hat – dann gibt es keine Hoffnung mehr.“
Ihre Stimme war heiser, müde. „Ich bin niemandem mehr von Nutzen.“ Lena schluckte schwer. „Das stimmt nicht. Jeder Mensch ist für jemanden wichtig. Vielleicht nicht für die, für die man es sich wünscht, aber für jemanden… immer.“
Sie wollte nicht darüber nachdenken, was beinahe geschehen wäre. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie die Frau nicht allein lassen durfte. „Wie heißen Sie?“ „Jekaterina Sergejewna.“ „Ich bin Lena. Heute war meine Hochzeit…
und ich bin weggelaufen. Aber ich lasse nicht zu, dass Sie sich aufgeben. Kommen Sie mit mir. Ich koche Ihnen einen Tee – einen, den Sie noch nie probiert haben.“ Ein Hauch von Lächeln huschte über das Gesicht der alten Frau.
„Was ist an diesem Tee so besonders?“ „Das werden Sie sehen.“ Ein kurzer Moment der Stille, dann trat Jekaterina Sergejewna einen Schritt zurück. Sie musterte Lena eindringlich. „Warum kümmerst du dich um mich, Kind? Du hast selbst genug Sorgen…“
„Ach, was. Ich habe nur herausgefunden, dass ich einen Fehler gemacht habe – das ist alles. Und jetzt gehen wir.“ Sie streckte die Hand aus, und nach kurzem Zögern ergriff die alte Frau sie. Es war der Beginn eines neuen Kapitels – für sie beide.