Mit sechzehn Jahren wagt Eric den Schritt ins Ungewisse.
Er verlässt die Sicherheit seiner Pflegefamilie und begibt sich auf eine einsame Reise – angetrieben von der Hoffnung, seine leibliche Mutter zu finden und Antworten zu erhalten, die sein Leben prägen könnten.
Doch die Wahrheit, der er begegnet, ist schmerzhafter und transformierender, als er sich je hätte vorstellen können.
Die Landstraße schlängelte sich wie ein graues Band durch die Hügel, eingefasst von sanft wiegenden Bäumen. Im Inneren des Autos herrschte ein Gemisch aus vertrautem Geplauder und dem hellen Lachen von Mila, der zweijährigen Tochter der Johnsons.
Eric saß auf der Rückbank, die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe gelehnt, seine Gedanken so weit entfernt wie der Horizont.
Mrs. Johnson drehte sich um und warf ihm einen prüfenden Blick zu. „Alles okay, Eric? Du bist so still heute.“
„Mhm“, murmelte er nur und sah wieder hinaus. Er spürte den Kloß in seinem Hals, doch er wusste, dass er ihn nicht herunterwürgen konnte. Seit Mila geboren wurde, hatte sich etwas verändert.
Die Johnsons waren dieselben geblieben – liebevoll, geduldig, zugewandt. Doch in Eric wuchs ein leiser Zweifel, wie ein Fremdkörper, der nicht dazugehörte. Mit Mila hatten sie ein echtes Kind. Ein Kind, das wirklich ihres war.
Am Rand der Landstraße machten sie Halt. Mr. Johnson tankte, während Mrs. Johnson sich um Mila kümmerte. Eric nutzte die Gelegenheit, um sich die Beine zu vertreten. Als er sich umsah, blieb sein Blick an einem verwitterten Schild hängen: «Eliza’s Diner – seit 1983.»
Etwas daran weckte in ihm eine längst verschüttete Erinnerung. Mit zitternden Händen griff er in seinen Rucksack und zog das einzige Foto heraus, das er von seiner leiblichen Mutter hatte.
Ein Baby in den Armen einer jungen Frau. Im Hintergrund ein Schild. Das Schild.
Eric spürte, wie sein Herz schneller schlug. Sollte es wirklich so einfach sein? Sollte das, wonach er so lange gesucht hatte, hier direkt vor ihm liegen?
„Eric?“ Mrs. Johnsons Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Sie war besorgt. „Was ist los?“
Er schüttelte den Kopf. „Nichts“, log er und steckte das Foto hastig zurück in den Rucksack. Doch die Entscheidung war gefallen. Er würde die Johnsons heute Nacht verlassen – wenigstens für eine Weile. Er musste die Wahrheit finden, egal, was es ihn kostete.
Die Nacht war still, als Eric das Zelt verließ. Der Mond warf ein silbriges Licht über den Campingplatz, und das einzige Geräusch war das leise Rauschen der Bäume.
Mit seinem Rucksack über der Schulter schlich er sich den Pfad entlang, fort von den Zelten, fort von den Menschen, die ihn so viele Jahre geliebt hatten – doch die nicht seine waren.
Nach einer Stunde Marsch erreichte er das Diner. Es war noch geöffnet, und das warme Licht, das aus den Fenstern fiel, wirkte wie eine Einladung. Mit klopfendem Herzen betrat er den Raum. Der Geruch von altem Fett und Kaffee schlug ihm entgegen.
Hinter dem Tresen stand eine Frau, die älter war, als er erwartet hatte. Ihre Schultern waren gebeugt, ihr Blick müde. Doch es war sie. Es musste sie sein. Eliza.
„Entschuldigung“, begann Eric zögernd und zog das Foto aus seinem Rucksack. „Kennen Sie dieses Bild?“
Die Frau nahm es in die Hand, ihre Augen verengten sich. Dann lachte sie bitter. „Das ist lange her“, sagte sie und schob das Foto zurück. „Was willst du von mir?“
„Ich bin Eric“, sagte er, und seine Stimme brach. „Ich bin dein Sohn.“
Eliza musterte ihn, ihre Augen kalt und hart. „Sohn? Ich habe keinen Sohn.“ Sie wandte sich ab und widmete sich der Kaffeemaschine.
„Bitte“, flehte Eric. „Ich will nur wissen, warum du mich weggegeben hast.“
Sie drehte sich langsam um, ihre Lippen zu einem schmalen Strich gepresst. „Weißt du, Junge, manche Menschen sind nicht dafür gemacht, Eltern zu sein. Du warst ein Fehler, und ich habe ihn korrigiert.“
Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag. Er stand da, unfähig, zu antworten, während sie sich wieder abwandte und ihn stehen ließ, wie er gekommen war – allein.
Als die Polizei Eric Stunden später fand, saß er auf einem Felsen am Straßenrand. Er sagte kein Wort, ließ sich nur wortlos zu den Johnsons zurückbringen. Mrs. Johnson war außer sich vor Sorge, ihre Umarmung warm und schützend, als hätte sie ihn seit Jahren vermisst.
„Was ist passiert?“ fragte Mr. Johnson leise.
Eric sah ihn an, die Augen rot, aber entschlossen. „Nichts“, sagte er schließlich. „Nur, dass ich endlich weiß, wo ich hingehöre.“
Er blickte zu Mila, die schlafend in den Armen ihrer Mutter lag. Dann zu den Johnsons, die ihn ansahen, als wäre er ihr eigener Sohn. Und vielleicht, dachte er, war er das auch.