Rachel hatte gerade eine Anzeige entdeckt, die wie ein rettender Anker in ihrem überladenen Leben erschien.
Sie konnte es kaum fassen, als sie von einem Zimmer in einem charmanten Haus hörte, das von einer freundlichen alten Dame vermietet wurde.
Für Rachel, die sich mit immer drängender werdenden Problemen abmühte – den medizinischen Rechnungen für ihren kranken kleinen Bruder,
den stressigen Uni-Kursen und den langen Nächten als Kellnerin – schien dies ein Geschenk des Himmels zu sein.
Ihre Aufnahme an der Universität in einer neuen Stadt hätte ein Moment der Freude und des Neubeginns sein sollen.
Doch die schwere Aufgabe, eine bezahlbare Unterkunft zu finden, verdarb ihr die gute Laune.
Dann stieß sie auf die Anzeige: Ein Zimmer in einem kleinen, liebevoll eingerichteten Haus, das von einer älteren Dame vermietet wurde. Der Preis war so niedrig, dass es fast zu schön war, um wahr zu sein.
Das Bild des Hauses, das sie in der Anzeige sah, war fast märchenhaft – Vintage-Möbel, blumige Tapeten und ein altmodischer Charme, der an eine andere Zeit erinnerte.
Die Worte, die die Anzeige begleiteten, klangen wie die perfekte Einladung: „Ideal für eine ruhige und respektvolle Mieterin. Keine Haustiere, kein Rauchen.“ Rachel dachte, dass es kaum besser kommen konnte.
Als sie schließlich ankam, wurde sie von Frau Wilkins herzlich begrüßt. Ihre Haare waren ordentlich hochgesteckt, und ihr Gesicht strahlte ein warmes, großzügiges Lächeln aus.
„Du musst Rachel sein“, sagte sie fröhlich und öffnete die Tür. „Du bist noch viel hübscher als ich es mir vorgestellt habe.
Komm rein, meine Liebe!“ Rachel trat ein und wurde sofort von der bezaubernden Atmosphäre des Hauses erfasst.
Es war ruhig und voller kleiner Details, die ein Gefühl von Geborgenheit und Wärme ausstrahlten.
Die zarten, weißen Vorhänge filterten das sanfte Licht des Nachmittags, und der Duft von frischer Gemüsesuppe wehte aus der Küche.
Das Abendessen war ebenso behaglich. Doch je mehr Rachel sprach, desto mehr schlich sich ein Unbehagen in ihren Gedanken.
Während des Gesprächs fragte Frau Wilkins nach Rachels Familie. Die Frage kam nicht aus Interesse oder Mitgefühl, sondern mit einer unerklärlichen Dringlichkeit.
Rachel erzählte ihr von ihren verstorbenen Eltern und ihrem kleinen Bruder Tommy, der bei der Tante lebte, während sie ihre Studien fortsetzte.
Frau Wilkins hörte aufmerksam zu, doch ein seltsames Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie sagte: „Wie praktisch.“ Danach fragte sie, ob Rachel ganz allein sei.
Die Antwort war „Ja“, und das Lächeln der alten Dame wurde breiter.
„Du wirst hier sicher sein“, versicherte sie Rachel mit einer tiefen Zufriedenheit in ihrer Stimme. „Ich werde mich gut um dich kümmern.“
Rachel war erleichtert und legte sich in der Nacht in ihr Bett, das für sie wie ein Nest der Ruhe wirkte. Es war die erste Nacht seit Langem, in der sie wirklich tief und fest schlief.
Doch als sie am nächsten Morgen erwachte, war die Atmosphäre plötzlich anders. Der Tag begann mit einem Gefühl der Beklommenheit.
In der Küche entdeckte sie ein großes Blatt Papier, das an dem Kühlschrank hing. Es war mit großen roten Buchstaben beschriftet: „HAUSREGELN – BITTE LESEN.“
Rachel fühlte sich sofort unwohl und begann, die Regeln zu lesen, die in keinem Fall so harmlos klangen, wie sie es sich erhofft hatte.
Es hieß, dass ihr keine Schlüssel zur Wohnung gegeben werden würden und dass sie nur zu bestimmten Zeiten ins Haus durfte.
Außerdem war das Badezimmer ständig verschlossen und sie musste den Schlüssel anfordern.
Ihre Zimmertür musste immer offen bleiben, da Privatsphäre für Frau Wilkins ein unheimliches Konzept war.
Es gab auch noch viele andere Vorschriften – dass sie das Haus sonntags verlassen musste,
dass Besucher strikt verboten waren, dass ihre Nutzung von Handys streng überwacht wurde und dass sie nur dreimal pro Woche duschen durfte.
Ein Punkt war besonders seltsam: „Reserviert für später“. Rachel konnte nicht herausfinden, was dies bedeutete, aber es ließ ihr einen eisigen Schauer über den Rücken laufen.
Als sie die Liste beendete, ertönte plötzlich die Stimme von Frau Wilkins hinter ihr. Sie drehte sich erschrocken um und sah, dass die alte Dame sie mit scharfem Blick musterte.
„Hast du die Regeln gelesen, meine Liebe?“ fragte sie, ihre Stimme war freundlich, aber ihr Blick durchdringend. Rachel nickte nur, immer noch verwirrt.
„Sind sie akzeptabel?“ fragte Frau Wilkins erneut, das Lächeln auf ihren Lippen breiter als zuvor. Rachel spürte, dass etwas nicht stimmte.
„Sie sind… detailliert“, antwortete sie schließlich, unfähig, ihre Unsicherheit zu verbergen.
Frau Wilkins trat einen Schritt näher, ihre Präsenz plötzlich bedrohlicher. „Details sind wichtig“, sagte sie ruhig, „sie halten uns sicher. Sicherheit ist alles.“
In diesem Moment wusste Rachel, dass sie dieses Haus nicht länger betreten konnte. Ohne ein Wort drehte sie sich um, als die alte Dame in den Garten trat, und begann hastig, ihre Sachen zu packen.
Jeder Schritt auf dem knarrenden Boden ließ ihren Puls schneller schlagen, und jede Wand schien sie zu beobachten.
Als sie gerade die Tür erreichen wollte, hörte sie plötzlich die Stimme von Frau Wilkins, die aus einem Lautsprecher in der Wand drang: „Du gehst so schnell, meine Liebe? Du hast doch nicht gefragt.“
In Panik schnappte Rachel ihre Tasche und stürmte zur Tür.
Kaum hatte sie sie geöffnet, rief Frau Wilkins erneut, aber dieses Mal klang ihre Stimme schneidend und unheilvoll: „Denk daran, Rachel: Alles muss besprochen werden. Immer.“
Rachel ließ sich nicht aufhalten und rannte hinaus.
Später, als sie in einem Park saß, ihre Tasche neben sich, versuchte sie, das Erlebte zu verarbeiten. Ein junger Mann kam auf sie zu, stellte sich als Ethan vor und bot ihr einen Kaffee an.
Er hörte geduldig zu, während sie ihm von ihren Erlebnissen erzählte. „Menschen wie diese haben nicht nur Regeln“, sagte Ethan nachdenklich, „sie haben Gründe. Dunkle Gründe.“
Ethan half Rachel, eine neue Unterkunft zu finden – ein normales Zimmer in einem Haus, das keine beängstigenden Vorschriften und keine geheimen Abmachungen hatte.
Sie fühlte sich bald sicherer, aber in stillen Momenten fragte sie sich immer wieder, was passiert wäre, wenn sie bei Frau Wilkins geblieben wäre.
Was aus der verschlossenen Tür, dem verbotenen Fleisch und den „reservierten“ Dingen geworden wäre. Die Gedanken an das, was hätte passieren können, ließen sie immer wieder frösteln.
Und bis heute hallt in ihrem Kopf die unheimliche, aber tiefgründige Bemerkung von Frau Wilkins: „Alles muss besprochen werden. Immer.“