Als Fjodor sein Studium beendete und endlich auf eigenen Beinen stand, gab es für ihn keinen Zweifel: Nie wieder würde er in das Haus zurückkehren, das sich nie wie ein Zuhause angefühlt hatte. Doch dann kam dieser eine Anruf.
Seine Mutter. Sie bat um ein Treffen. Ihre Stimme klang sanft, reumütig, fast flehend. Zum ersten Mal in seinem Leben sagte sie die Worte, nach denen sich sein Herz gesehnt hatte: Es tut mir leid.
Und Fjodor glaubte ihr. Er wollte ihr glauben. Er wollte daran festhalten wie ein Ertrinkender an einem Rettungsring. Vielleicht hatte sich doch alles verändert. Vielleicht hatte sie ihn doch immer geliebt, nur nie gewusst, wie sie es zeigen sollte.
Von da an lud sie ihn zu Familienfeiern ein, rief ihn regelmäßig an, erkundigte sich nach seinem Leben. Fjodor war wie im Rausch. Er sog ihre Aufmerksamkeit auf wie eine ausgetrocknete Wüste den ersten Regen.
Endlich war er nicht mehr das übersehene Kind, das nur in der Ecke stand. Endlich war er Teil der Familie. Doch er erkannte nicht, dass sich die Wellen des Glücks langsam in eine reißende Strömung verwandelten.
Zuerst waren es kleine Dinge. „Fjodor, kannst du Alexej beim Lernen helfen? Er hat es schwer an der Uni.“ Natürlich half er. Dann: „Könntest du ihm einen Bericht schreiben? Nur einen kleinen.“ Dann ein Vortrag. Eine Hausarbeit. Eine ganze Seminararbeit.
Seine Mutter war jedes Mal voller Lob. „Ohne dich wären wir verloren“, sagte sie mit dieser warmen Stimme, nach der er sich so lange gesehnt hatte. Jedes liebevolle Wort war für Fjodor wie ein Streicheln der Seele.
Sie hatte ihn nicht gelobt, als er mit Bestnoten die Schule abschloss. Nicht, als er sich aus eigener Kraft durchs Studium kämpfte. Aber jetzt tat sie es. Und das bedeutete alles für ihn.
Doch als sein Bruder schließlich – mit Fjodors Hilfe – sein Studium über die Ziellinie schleppte, änderte sich der Ton. Plötzlich gab es finanzielle Notlagen. Alexej hatte Schulden. Alexej hatte Pech. Alexej brauchte dringend Geld.
Und Fjodor gab. Immer und immer wieder. Dann verließ Nikolai, Fjodors Stiefvater, seine Mutter. „Ich kann nicht mehr“, sagte er und ging. Und Fjodor, dumm und treu wie ein Hund, versprach seiner Mutter, sie nicht im Stich zu lassen.
Also gab er noch mehr. Er verzichtete auf neue Kleidung, auf Freizeit, auf alles – nur damit seine Familie glücklich war. Und dann, an einem eiskalten Wintertag, brauchte er selbst etwas. Nur eine warme Jacke.
„Ich kann dir diesmal nicht helfen“, sagte er vorsichtig ins Telefon. Er hörte, wie sich ihre Stimme veränderte, als würde sich hinter den lieblichen Worten eine dunkle Fratze verbergen. „*Wie kannst du nur so herzlos sein?!*“, schrie sie.
„Nach allem, was wir für dich getan haben?!“ Fjodor erstarrte. Das war wie ein eiskalter Schlag ins Gesicht. Einige Tage später saß er mit Swetlana in einem Café. Sie kannten sich seit der siebten Klasse. Sie war die einzige, die ihn verstand.
„Fjodor, wach auf“, sagte sie und sah ihn mit ihren klugen, warmen Augen an. „Deine Mutter benutzt dich nur.“ Er lachte bitter. „Nein, das… das kann nicht sein.“ Aber tief in seinem Inneren wusste er es längst.
Und dann geschah etwas, das alles veränderte. Swetlana rief ihn an, weinend. Ihr Vater war schwer krank. Er brauchte dringend eine Herzoperation. Die Versicherung würde zu lange brauchen. Ein Kredit war ihre einzige Hoffnung.
„Fjodor… Darf ich deine Nummer als Kontaktperson angeben? Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll.“ Er verspürte einen Stich in der Brust. Wenn er nicht alles für seine Mutter und seinen Bruder geopfert hätte, hätte er jetzt helfen können.
Nein. Genug. Er ging zu seinem Chef und bat um einen Vorschuss. Sein Chef war ein harter Mann, aber fair. „Wie viel brauchst du?“ fragte er nur. Und dann, in wenigen Minuten, war alles geregelt. 20 % seines Gehalts würden abgezogen werden,
bis die Schulden beglichen waren. Aber das war ihm egal. Als er Swetlana davon erzählte, warf sie sich schluchzend in seine Arme. „Fjodor, ich werde dir jeden Cent zurückzahlen!“ Er hielt sie fest. „Denk nicht daran. Dein Vater braucht dich jetzt.“
Stunden später standen sie im Krankenhaus und warteten auf das Ergebnis der Operation. Fjodor betete. Er, der nie an irgendetwas geglaubt hatte, schloss die Augen und betete. Als der Arzt herauskam und lächelte,
fühlte Fjodor eine unbeschreibliche Erleichterung. Und dann sagte Swetlanas Mutter etwas, das sein Herz für immer veränderte. „Danke, Fjodor. Du bist ein Teil unserer Familie. Weißt du eigentlich, dass Sweta seit der siebten Klasse in dich verliebt ist?“
Die Worte durchfuhren ihn wie ein Blitz. Swetlana wurde knallrot. Fjodor wusste, dass er mit ihr reden musste. Aber erst, wenn sich ihr Vater erholt hatte.Als er nach Hause kam, saß seine Mutter vor seiner Tür.
Ihre Arme waren verschränkt, ihr Gesicht eine Maske aus Ärger und Vorwurf. „Warum gehst du nicht ans Telefon?! Dein Bruder ist in Schwierigkeiten. Er hat jemanden verletzt. Sie wollen ihn anzeigen. Du musst die Schuld auf dich nehmen!“
Fjodor blieb stehen. Für einen Moment war es, als würde sein ganzes Leben vor seinem inneren Auge ablaufen – all die Jahre der Vernachlässigung, die ausgenutzte Gutmütigkeit, die bittere Sehnsucht nach Liebe, die nie existiert hatte.
Und dann lachte er. Lachte, weil es so absurd war. Lachte, weil er endlich klar sah. Er trat einen Schritt zurück, sah seine Mutter an und sagte: „Weißt du, Mama? Du hast recht. Ich hatte nie eine Mutter.“ Er drehte sich um und ging.
In seinem Herzen war kein Schmerz mehr. Nur Freiheit.