Ein Bissen Brot: Der Preis zweier Leben

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„Also… ich habe es eilig“, murmelte Gábor vor sich hin, als er die Tür der Bäckerei hinter sich schloss. Dabei hatte er eigentlich gar keinen wirklichen Ort, zu dem er musste.

Seit der Trennung wartete niemand mehr zuhause auf ihn. Eine leere Wohnung, eine kalte Kaffeemaschine, ein altes Foto am Kühlschrank… sogar die Katze hatte seine Ex-Frau mitgenommen.

„Ich brauche Gesellschaft, aber keinen weiteren Vierbeiner“, hatte Judit gesagt, als sie Cirmos mitnahm. Dann war sie in ihr Elektroauto gestiegen und war verschwunden.

Gábor seufzte tief. Im Inneren seiner Tasche klimperten die Schlüssel, während er den Beutel mit frischem Brot, etwas Salami und ein paar Tomaten herauszog.

„Wenigstens etwas zu Hause zu haben…“ dachte er, als er zum Parkplatz ging.

Als er ins Auto stieg, bewegte sich etwas vor den Scheinwerfern. Ein Schatten. Dann noch einer. Gábor kneifte die Augen zusammen und blickte genauer hin. Auf dem Bordstein saß ein Hund.

Mager, mit struppigem Fell und diesen Augen… tiefgründig, als wüssten sie etwas, was er nicht wusste.

Er bellte nicht, bettelte nicht. Er schaute einfach nur.

„Und du…“ flüsterte Gábor, während er ein Stück Kruste vom Brot abbrach. „Hast du Hunger? Hier, nimm.“

Er streckte die Hand aus, und der Hund kam langsam, mit Würde näher. Er riss das Stück nicht heraus, sondern nahm es behutsam.

„Du bist ein Intellektueller, mein Freund“, lachte Gábor.

Der Hund schluckte das Brotstück hinunter, blieb aber stehen. Er starrte ihn weiterhin an. Gábor öffnete die Arme.

„Mehr habe ich nicht, alter Freund. Das ist alles, was ich gerade habe.“ Der Hund drehte sich langsam um, machte ein paar Schritte, dann blickte er wieder zurück.

„Was ist? Willst du, dass ich dir folge?“

Der Hund bellte einmal und setzte seinen Weg fort. Gábor sah ihn verwundert an.

„Echt jetzt? Ich folge wirklich einem streunenden Hund?“

Er lachte über sich selbst, stieg aber trotzdem aus dem Auto. Der Hund war bereits in eine Seitenstraße abgebogen, und Gábor folgte ihm.

Der Hund ging selbstbewusst durch die dunklen Straßen. Nach zwei Blocks hielt er an, drehte sich um und wartete. Dann ging er weiter.

„Ich bin verrückt“, dachte Gábor, als er um die Ecke bog. Aber er hielt nicht an.

Nach einigen Minuten standen sie vor einem heruntergekommenen Haus. Die Wände rissig, die Gardinen an den Fenstern ausgebleicht. Neben der Veranda lagen Kinderschuhe.

Der Hund rannte zur Tür und begann zu kratzen. Gábor blieb hinter ihm stehen.

„Ist jemand da?“ rief er vorsichtig.

Aus dem Inneren kam eine müde Frauenstimme:

„Wer ist da?“

„Ähm… dein Hund hat mich hierhergebracht.“

Stille. Dann öffnete sich die Tür einen Spalt. Eine Frau stand da, zerzauste Haare, dunkle Augenringe. Aber sie lächelte.

„Naida ist zurückgekehrt. Komm herein. Sie bringt nur gute Menschen mit.“

Gábor trat ein.

Drinnen war es arm, aber sauber. Ein alter Vorhang wehte im Luftzug, neben einer Wiege schlief ein Kind, das ein abgenutztes Stofftier festhielt.

„Ich heiße Klára“, sagte die Frau. „Und das ist Naida, unser kleiner Schutzengel.“

„Wirklich? Macht sie oft… solche Dinge?“

Klára setzte sich auf einen Hocker und streichelte den Hund.

„Nach dem Brand blieb uns nichts. Mein Mann… nun ja, er war kein Held. Er ist gegangen. Ich und das Kind saßen auf einer Bank.

Naida kam zu uns. Sie hat uns nicht allein gelassen. Sie brachte Essen. Sie brachte… Menschen.

„Einmal sogar ein ganzes Huhn! Ein anderes Mal einen alten Mann, der uns einen Mantel schenkte. Brot, Konserven… so haben wir überlebt.“

„Warum lebt ihr hier?“

Klára senkte den Blick.

„Das Haus brannte ab. Ohne Papiere konnte ich nicht arbeiten. Wir lebten bei einer Freundin, aber wir konnten nicht bleiben. Dieses Haus war leer.

Die Besitzer sind ins Ausland gegangen. Wir dachten, wir halten hier wenigstens bis zum Ende des Winters durch…“

Gábor holte unauffällig sein Handy hervor und rief an.

„Peti? Du hast doch nach Arbeitern für die Baustelle gesucht? Hier ist eine Frau mit einem Kind. Kannst du ihr helfen?

Sie war Erzieherin. Es gibt doch diesen Teil vom Projekt für Kinder, oder?“

Klára sah ihn an. Gábor lächelte.

„Peti ist ein guter Mensch. Er wird nicht nein sagen.“

Sechs Monate später hielt Gábor erneut vor diesem Haus. Die alten Mauern waren jetzt verputzt. Das Dach glänzte mit neuen Ziegeln, an den Fenstern saßen saubere Gardinen. Das Gartentor stand offen.

Die Tür ging weit auf und ein Kind rannte lachend hinaus.

„Onkel Gábor! Onkel Gábor, du bist da!“ rief es fröhlich und sprang ihm um den Hals.

„Hallo, Szabolcs!“ lachte Gábor, hob den Jungen hoch. „Du bist gewachsen, seit ich dich zuletzt gesehen habe!“

„Mama hat Kuchen gebacken! Sie sagte, sie wusste, dass du kommst, weil Naida den ganzen Morgen am Fenster gesessen hat!“

Naida, der Hund, saß tatsächlich auf der Veranda und wedelte mit dem Schwanz, als wüsste sie schon alles.

Klára stand in der Tür, ein Geschirrtuch in der Hand, und lächelte.

„Kommt rein, der Tee ist fertig“, sagte sie sanft.

Drinnen war keine Spur von Armut mehr. Der Raum war warm, roch nach selbstgebackenem Kuchen und frisch aufgebrühtem Tee.

An den Wänden hingen Kinderzeichnungen, auf dem Tisch stand eine Vase mit frischen Blumen.

„Das hast du alles ermöglicht“, sagte Klára, während sie Gábor Tee einschenkte. „Die Arbeit, der Kindergarten, eine Adresse… Wir leben wieder.“

„Das habe nicht ich geschafft“, schüttelte Gábor den Kopf. „Ich bin nur Naida gefolgt.“

„Naida hat dich hierhergeführt, aber du hast die Tür geöffnet“, lächelte Klára. „Du hast mehr getan, als du damals dachtest.“

Szabolcs verschwand kurz und kam mit einer Zeichnung zurück. Darauf waren ein Haus, ein Hund, eine Frau, ein Mann und ein Kind zu sehen. In einer Ecke ein lachende Sonne.

„Das bist du, Onkel Gábor“, sagte er und zeigte auf die Figur mit Bauch und Brille. „Und Naida ist auch dabei!“

„Du bist ein Künstler, Szabolcs“, streichelte Gábor dem Jungen über den Kopf.

Später, als er gehen wollte, blieb er an der Tür stehen. Die Hand am Griff, aber er öffnete nicht.

„Klára… glaubst du, sie hat mich absichtlich hierhergebracht?“

Die Frau schwieg einen Moment, nickte dann.

„Sie hat gesehen, dass du allein bist. Und sie will allen helfen. Das ist ihre Aufgabe.“

Gábor atmete tief ein.

„Glaubst du, ich könnte bleiben? Es wäre Platz. Ich würde nicht stören. Szabolcs braucht vielleicht einen Vater. Und du vielleicht eine helfende Hand.“

Klára kam näher. Ihr Blick war ernst, aber warm.

„Bleib. Wir haben auf dich gewartet.“

Naida setzte sich neben sie und bellte leise, als wollte sie sagen:

„Endlich ist alles an seinem Platz.“

Und Gábor verstand: Manchmal reicht ein Stück Brot… um zwei Leben zu verändern.

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