Als Dereks „Cousine“ Daisy mit ihrem Sohn Patrick vor unserer Tür stand, dachte ich, es sei eine einfache Gefälligkeit. Eine vorübergehende Hilfe für die Familie meines Mannes. Ein paar Wochen, nicht mehr.
Kinderkleidung. „Natürlich“, hatte ich ohne Zögern geantwortet, als Derek mich darum bat. „Familie ist Familie.“ Wirklich? Vor unserer Hochzeit hatte ich selbst gegen Schulden gekämpft, hatte mich mühsam aus dem finanziellen Loch herausgearbeitet.
Ich wusste, was es bedeutete, zu kämpfen. Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich nicht helfen würde? Doch jetzt – einen Monat später – bereute ich diese Worte mit jeder Faser meines Seins. Zunächst schien alles normal.
Daisy war höflich, aber distanziert, fast kühl. Ich hielt es für Schüchternheit. Doch dann beobachtete ich, wie sie sich in Dereks Gegenwart veränderte. Sie strahlte, lachte über jeden seiner Witze, warf ihm lange, vielsagende Blicke zu. Ihr Tonfall – vertraut, fast verspielt.
Ein leiser, unangenehmer Druck legte sich auf meine Brust. Aber sie waren doch Familie. Oder? Und Patrick? Anfangs war er ein ganz normaler, aufgeweckter Achtjähriger. Doch bald verwandelte sich sein ungestümer Übermut in pures Chaos.
Krümel und klebrige Flecken überall. Seine Spielzeuge lagen wie Stolperfallen im ganzen Haus verstreut. Doch das Schlimmste? Er hörte nicht. Überhaupt nicht. Als ich ihn bat, seine Sachen aufzuräumen, brach er in einen Wutanfall aus.
Kissen flogen durch den Raum, seine kleinen Fäuste ballten sich, und dann brüllte er mich an: „Du bist nicht meine Mama! Ich muss nicht auf dich hören!“ Mir stockte der Atem. Irgendwann hatte ich genug. Ich atmete tief durch, sah ihm direkt in die Augen.
„Patrick“, sagte ich mit fester Stimme. „Du bist hier zu Gast. Ich erwarte, dass du dich entsprechend benimmst. Das ist nicht dein Zuhause.“ Seine Antwort ließ mich erstarren. „Doch, Rebecca“, zischte er, jedes Wort scharf wie eine Klinge.
„Meine Mama hat gesagt, dass das jetzt unser Zuhause ist.“ Mein Magen zog sich zusammen. Was…? Das musste ein Missverständnis sein. Kinder interpretieren Dinge falsch, oder? Vielleicht hatte Daisy ihm nur helfen wollen, sich hier wohler zu fühlen.
Doch seine Worte ließen mich nicht los. Sie brannten sich in meinen Verstand, eine beunruhigende Warnung, die ich nicht ignorieren konnte. Dann kam der Tag, an dem die Wahrheit mein Leben in Stücke riss.
Ashley, Dereks Schwester, kam zum Mittagessen vorbei. Ein sonniger Nachmittag, ein Teller dampfender Spaghetti, kühle Limonade. Ein harmloses Gespräch. Daisy war mit Patrick unterwegs. Irgendwann lächelte Ashley mich an.
„Du bist wirklich ein Engel, Becca“, sagte sie. „Ich hätte nie gedacht, dass du so großzügig bist.“ Ich winkte ab, lachte. „Ach, Unsinn! Familie ist Familie. Wie könnte ich Dereks Cousine und seinen Neffen einfach ablehnen?“
Und dann – der Moment, in dem die Welt stillzustehen schien. Ashley hielt inne. Ihre Gabel erstarrte in der Luft. „Warte mal…“ Ihr Blick flog zu Derek. „Hat er es dir nicht gesagt?“ Mein Herzschlag setzte aus.
„Was nicht gesagt?“ Ich spürte, wie Panik in mir aufstieg. Derek sagte nichts. Er starrte auf seine Limonade, als könnte sie ihm die Rettung bringen. Ashley wurde bleich. „Oh mein Gott, Becca…“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Du hast wirklich keine Ahnung…“
Mein Atem ging flach. „Keine Ahnung wovon?“ Mein Kopf pochte, meine Finger krallten sich in die Tischplatte. Ashley biss sich auf die Lippe. Dann sah sie mich an, und in ihrem Blick lag unendliches Bedauern.
„Daisy ist nicht unsere Cousine, Becca.“ Mein Herz schlug einen schmerzhaften, dröhnenden Takt. „Sie ist Dereks Ex-Freundin.“ Mir wurde schwindelig. „Und Patrick…“ Ashley schluckte schwer. „Patrick ist sein Sohn.“
Die Luft wich aus meiner Lunge. Ich spürte den Stuhl unter mir, aber es war, als würde ich fallen, unaufhaltsam in einen Abgrund. Die Erinnerungen rasten durch meinen Kopf, wie Glassplitter, die sich immer tiefer in meine Haut bohrten.
Daisys reservierte Art mir gegenüber. Ihr Leuchten, sobald Derek den Raum betrat. Patricks Worte. Es ergab alles Sinn. Ein schrecklicher, herzzerreißender Sinn. Ich war die einzige, die es nicht wusste.
Derek hatte mich belogen. Jahre lang. Ich spürte Ashleys Hand auf meiner. Sie sagte etwas, aber ihre Worte klangen wie durch Watte. Mein Blick blieb auf Derek haften. Der Mann, den ich liebte. Der Mann, den ich geheiratet hatte.
Der Mann, der mir verschwiegen hatte, dass er einen Sohn hatte. Er sah mich nicht an. Ich weiß nicht, ob unsere Ehe das überleben wird. Aber eines weiß ich sicher: Ich werde nie wieder die Warnsignale ignorieren.
Und ob ich es will oder nicht – jetzt muss ich lernen, eine Stiefmutter zu sein.