Ein unerwartetes Erwachen. In den Wochen, die auf Irinas Bitte folgten, war ich vollständig in die Arbeit an dem Kleid vertieft. Es war fast therapeutisch, die feinen Nähte zu perfektionieren und die Perlen von Hand einzufädeln.
Der Stoff schien unter meinen Fingern zu fließen, wie Wasser, das in Bewegung erstarrt ist. Irina hatte klare Vorstellungen von ihrer Traumhochzeit, und obwohl ich noch immer unsicher über ihre plötzliche Freundlichkeit war, konnte ich nicht anders, als mich von ihrer Begeisterung anstecken zu lassen.
Jede Naht, jede Spitze trug eine seltsame Art von Intimität mit sich. Irgendwo tief in meinem Inneren fragte ich mich, ob diese Arbeit ein Weg war, meine eigene Vergangenheit zu verarbeiten. Das Kleid wurde zu einem Symbol – nicht nur für Irinas Neubeginn,
sondern auch für die schmerzhaften Kapitel meines eigenen Lebens, die ich noch nicht ganz abschließen konnte. Der Tag der Hochzeit. Als der Hochzeitstag kam, war die Luft voller Spannung. Ich packte das Kleid vorsichtig in einen schützenden Überzug und machte mich
auf den Weg zu dem malerischen Anwesen, das Irina für ihre Feier gewählt hatte. Es war ein Ort, der aus einem Märchen stammen könnte – ein Landgut mit weiten Gärten, die in sanftem Sonnenlicht glitzerten. «Wenn ich jemals heiraten würde,
wäre das der perfekte Ort», dachte ich unwillkürlich, bevor ich diesen Gedanken schnell abschüttelte. Der Gedanke an eine eigene Hochzeit war seit Jahren eine schmerzhafte Erinnerung. Doch als ich das Anwesen betrat, überkam mich ein unerklärliches Gefühl der Beklemmung.
Es war, als würde etwas in der Luft hängen, etwas, das ich nicht genau greifen konnte. Die Gäste waren elegant gekleidet, das Lachen und Murmeln ihrer Stimmen vermischte sich mit der sanften Musik im Hintergrund. Ich folgte einem der Mitarbeiter,
der mich in Richtung eines Raumes führte, in dem Irina sich aufhielt. Doch bevor ich die Tür erreichen konnte, fiel mein Blick auf etwas, das mich innehalten ließ. Ein großes Banner hing neben dem Altar, und in goldenen Buchstaben, die im Licht schimmerten, prangten zwei Namen:
«Willkommen zur Hochzeit von Alexei und Anna.» Ich blinzelte, mein Atem stockte. Mein Name? Das musste ein Fehler sein. Ein absurder, grausamer Fehler. Mein Kopf schien sich zu drehen, und mein Herz raste so schnell, dass es mir schwerfiel, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Was …?“ flüsterte ich, unfähig, die Worte auszusprechen. Dann hörte ich eine vertraute Stimme hinter mir. «Anna.» Ich drehte mich langsam um, und da stand er – Alexei. Er sah anders aus, älter vielleicht, mit einem Ausdruck von Reue in seinen Augen,
den ich nicht deuten konnte. Seine Präsenz war überwältigend, wie ein Geist aus einer Vergangenheit, die ich so sehr versucht hatte, hinter mir zu lassen. „Was ist das?“ fragte ich mit bebender Stimme und deutete auf das Banner. „Was bedeutet das alles?“
Er machte einen Schritt auf mich zu, seine Hände waren erhoben, als wolle er mich beruhigen. „Bitte, Anna, lass es mich erklären“, sagte er leise, und seine Stimme hatte einen flehenden Ton, den ich noch nie zuvor von ihm gehört hatte.
Ich wollte schreien, ihn zur Rede stellen, all die aufgestauten Gefühle der letzten Jahre auf ihn abladen. Doch stattdessen nickte ich stumm, unfähig, mich zu bewegen. Die Wahrheit ans Licht gebracht. „Vor drei Jahren“, begann er langsam, „habe ich den größten Fehler meines Lebens gemacht.“
Ich ballte meine Hände zu Fäusten, bereit, ihm jede Entschuldigung ins Gesicht zu werfen. Doch dann sprach er weiter, und seine Worte trafen mich wie ein Blitz. „Katharina hat mir etwas gezeigt. Ein Video von dir, aus einem Urlaub, in dem du gesagt hast, dass du keine Kinder willst.“
Ich erinnerte mich sofort an das besagte Video. Es war Jahre her, während eines chaotischen Junggesellenabschieds, als ich mit jemandem gestritten hatte, der behauptete, jede Frau müsse Kinder wollen. Es war ein unbedeutender Moment,
der in einem ganz anderen Kontext völlig falsch interpretiert werden konnte. „Sie sagte, du hättest mich angelogen“, fuhr er fort. „Dass du mir eine Zukunft vorgaukelst, die du nie wirklich willst.“ Meine Augen brannten vor Tränen, doch ich zwang mich, ruhig zu bleiben.
„Und du hast ihr geglaubt“, sagte ich schließlich, meine Stimme vor Bitterkeit bebend. Er nickte, Scham zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Ich war dumm, Anna. Ich habe dir nicht zugehört, und ich habe den Lügen geglaubt. Aber jetzt weiß ich die Wahrheit.“
Ein neues Kapitel? Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Die Wut, die Trauer, die Erinnerungen – all das prallte in diesem Moment auf mich ein. „Und das hier?“ fragte ich und deutete erneut auf das Banner. „Das hier“, sagte er und trat einen Schritt näher,
„ist mein Versuch, alles wieder gutzumachen. Ich weiß, dass ich dein Vertrauen verloren habe. Aber ich will nicht mehr warten. Anna, ich liebe dich. Und ich werde nicht aufgeben, bis ich dir beweisen kann, dass ich es ernst meine.“
Seine Worte hingen in der Luft, und für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Ich wusste, dass dies der Moment war, in dem sich alles entscheiden würde. Ob ich ihm jemals verzeihen könnte, ob wir die Vergangenheit hinter uns lassen und ein neues Kapitel beginnen könnten.