Es gibt Momente im Leben, in denen das Schicksal unerwartet zuschlägt und man sich fragt, wie es dazu gekommen ist. Ich erinnere mich noch gut an einen kalten Oktobertag, als ich nach dem Marktbummel zurückkam.
Damals fuhren die Busse fast nie, und der Weg nach Hause führte über eine holprige Straße mit schweren Taschen voller Kartoffeln. Ich war zu der Zeit 42 Jahre alt und lebte allein, abgesehen von meiner Katze Barsik, die mehr wie ein kleines,
gemütliches Kissen mit einer frechen Schnauze wirkte. Nach der Scheidung war es ruhig in meinem Leben geworden; keine Kinder, keine Veränderungen. Ich arbeitete in einer kleinen, ländlichen Bibliothek, strickte abends Socken und lebte im Einklang mit der Einfachheit des Lebens.
An diesem besagten Tag war ich gerade dabei, mich über den anstrengenden Weg nach Hause zu schleppen, als ich sie bemerkte. Ein kleines Mädchen, kaum älter als fünf, saß unter einer alten Eiche, umklammerte ihre Knie und starrte in die Leere.
Zuerst dachte ich, es könne nicht sein, dass ein Kind bei solchem Wetter allein in der Nähe der Dörfer umherirrte. „Mädchen, was machst du hier?“ rief ich, als ich näher kam. Sie hob den Kopf, ihre Augen waren ängstlich, und sie schwieg.
Ein kaltes Schaudern überkam mich. Ich setzte mich neben sie und fragte vorsichtig: „Bist du verloren? Wo sind deine Eltern?“ Sie zitterte und antwortete kaum, flüsterte nur: „Mit-Sonja“. „Sonja“, wiederholte ich sanft,
„möchtest du zu mir nach Hause kommen? Ich werde dir heißen Tee machen und dich aufwärmen, dann können wir herausfinden, woher du kommst.“ Sie nickte und nahm meine Hand, die ich ihr anbot, während ich die schweren Taschen mit den Kartoffeln aufnahm.
So machten wir uns zusammen auf den Weg – sie wie ein zerbrechlicher Vogel an meiner Seite, und ich kämpfte mit den Taschen, die mich zu Boden zogen. Zuhause angekommen, wickelte ich sie in eine warme Decke,
setzte den Wasserkocher auf und ließ die Heizung aufdrehen. Barsik, der normalerweise Fremden gegenüber gleichgültig war, sprang sofort auf Sonjas Knie und schmiegte sich an sie. „Siehst du“, sagte ich, „er mag dich. Und er ist wirklich wählerisch.“
Sonja streichelte die Katze vorsichtig und schien ein wenig zu entspannen. Doch je mehr ich versuchte, sie zu fragen, desto mehr merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Sie wusste nicht, wo sie wohnte, sie kannte ihren Nachnamen nicht.
Die Polizei konnte nichts herausfinden, und es wurde immer klarer, dass Sonja keine Erinnerung an ihre Familie hatte – als ob sie einfach aus dem Nichts aufgetaucht war.
Im Laufe der Wochen taute sie langsam auf, begann zu lächeln und mir sogar Märchen vor dem Schlafengehen zu erzählen. Doch sie weigerte sich, ihre Vergangenheit zu besprechen, als ob sie sie absichtlich verdrängte.
Es war, als ob sie ein Geheimnis mit sich trug, das sie nicht teilen wollte.
Eines Abends, als wir zusammen aßen und sie aufgeregt malte, fragte ich sie: „Möchtest du bei mir bleiben? Für immer?“ Sonja sah mich mit großen, unsicheren Augen an, drückte den Bleistift fest in ihre Hand und flüsterte dann: „Darf ich?“
„Ja“, antwortete ich mit einem Lächeln. „Du wirst meine Tochter sein.“
Von diesem Moment an war sie nicht mehr „das Mädchen, das ich gefunden hatte“, sondern meine Tochter, und ich wusste, dass ich sie nie wieder hergeben würde. Die bürokratischen Hürden folgten, aber das war für uns nur eine kleine Prüfung.
Es war der erste Schultag, den ich nie vergessen werde. Sonja zog ihr neues, gepunktetes Kleid an, und ihre Augen glänzten vor Aufregung. Doch ihre Nervosität war spürbar, als sie mich fragte: „Was ist, wenn ich es nicht schaffe?“
„Natürlich wirst du es schaffen“, sagte ich und richtete ihren Schleifen. „Du bist sehr klug.“
Die ersten Monate in der Schule waren hart für sie. Besonders in Mathematik tat sie sich schwer, aber in Kunst blühte sie auf. Der Kunstlehrer bemerkte ihre Fähigkeiten und empfahl ihr, eine Kunstschule zu besuchen.
Doch mit meinem bescheidenen Bibliotheksgehalt war das eine fast unerreichbare Vorstellung.
Zum Glück half unsere Nachbarin Zina, die mir eine Teilzeitstelle in der Stadt besorgte, das Geld für Sonjas Kunstschule zu verdienen. Jeden Monat fuhr ich für einige Tage zur Reinigung, und Sonja blieb bei Baba Zina,
die ihr nicht nur das Backen beibrachte, sondern auch Geschichten erzählte.
Im Laufe der Jahre entwickelte Sonja ein starkes Talent. Als sie 15 Jahre alt war, wurde sie zu einer Meisterklasse in eine Kunstschule eingeladen, eine Gelegenheit, die sie mit Begeisterung annahm. Doch die Zeit verging schnell, und ich wusste, dass sie bald ausziehen würde.
Eines Abends, als sie von ihrer Zukunft in der Kunstschule sprach, fragte sie mich: „Mama, darf ich mein Zimmer neu streichen? In Lila?“
„Natürlich“, antwortete ich, „wir können es gemeinsam machen.“
Und so verging die Zeit, und Sonja wuchs nicht nur als Künstlerin, sondern auch als Mensch. Sie hatte den Traum, nach der Kunstschule in die Stadt zu ziehen, aber sie versprach, jedes Wochenende zurückzukehren und ein Kunststudio für Kinder zu eröffnen.
„Du wirst sehen, Mama“, sagte sie. „Ich komme zurück. Und dann werde ich hier ein Kunststudio für Kinder gründen.“
Ich konnte es kaum fassen – aus dem kleinen Mädchen, das ich unter der Eiche gefunden hatte, war eine junge Frau geworden, die ihre eigenen Träume verfolgte. Aber egal, wohin sie ging, ich wusste, dass sie immer meine Tochter bleiben würde.