Kristina lief schnell zu ihrer Schwiegermutter, um Salz zu holen, und bemerkte dabei das zweite Handy ihres Mannes, das er ihr nie gezeigt hatte.

Unterhaltung

Christina lebte mit ihrem Mann Sergei in einer Wohnung im vierten Stock, direkt über der seiner Mutter, Anna Petrowna. Von Anfang an hatte Anna Petrowna darauf bestanden, dass die junge Familie so nah wie möglich bei ihr wohnte – aus Fürsorge,

aus Liebe, vielleicht auch aus einem tief verwurzelten Bedürfnis, das Leben ihres Sohnes weiter lenken zu können. Christina hatte sich daran gewöhnt, ebenso an die regelmäßigen Besuche und die gelegentlichen wohlmeinenden Ratschläge ihrer Schwiegermutter.

Doch an diesem Tag, einem scheinbar ganz gewöhnlichen Tag, sollte sich alles ändern.

Es begann mit einer Kleinigkeit – dem Salz. Gerade als sie den Teig für ein Brot geknetet hatte, stellte Christina fest, dass ihr das Salz ausgegangen war. Ohne groß nachzudenken, ging sie die Treppe hinunter zu Anna Petrowna, klopfte an die vertraute Tür.

Sie wusste, dass ihre Schwiegermutter empfindlich auf laute Geräusche reagierte, doch diesmal öffnete sich die Tür schneller als erwartet. „Christina! Welche Schicksale bringen dich hierher?“ fragte Anna Petrowna mit einem freundlichen Lächeln, doch in ihren Augen lag eine gewisse Unruhe.

„Ich brauche nur etwas Salz“, erwiderte Christina beiläufig, während sie in die Wohnung trat. „Gerade als ich den Teig fertig hatte, ist es mir ausgegangen.“

Anna Petrowna nickte und verschwand in die Küche, um das Salz zu holen. Christina folgte ihr, ließ den Blick durch den Raum schweifen, den sie so gut kannte. Doch heute fielen ihr kleine Veränderungen auf: Eine neue Vase auf der Kommode,

ein verschobener Sessel, ein Stapel frischer Zeitschriften auf dem Tisch. Es waren Kleinigkeiten, aber sie weckten eine seltsame Unruhe in ihr.

Dann bemerkte sie es – ein schwaches Leuchten, das aus einer Ecke des Regals kam. Zwischen Gewürzdosen und einem Glas mit getrocknetem Basilikum lag ein Smartphone. Ein schwarzes, schlichtes Modell, genau wie das, das Sergei besaß.

Doch warum sollte sein Telefon hier sein? Er hatte es doch immer bei sich. Christina griff danach, spürte, wie ihre Hände leicht zu zittern begannen. Sie drückte den Bildschirm – und sofort erschien die Sperrseite.

Das Passwort einzugeben war ein Reflex, denn es war dasselbe, das sie beide für alles verwendeten: das Datum ihrer Hochzeit. Was sie dann sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Dutzende ungelesene Nachrichten von einer bestimmten „Mascha R.“. Die letzte war von diesem Morgen:

„Schatz, ich vermisse dich so sehr. Wann sehen wir uns wieder?“

Plötzlich war es, als ob die Luft um sie herum schwerer wurde. Christina hörte kaum, wie Anna Petrowna mit einer Packung Salz zurückkam. Doch als die Schwiegermutter ihren Blick sah, verstummte sie.

„Christina … ich wollte es dir nicht sagen …“ Ihre Stimme war leise, schuldbewusst. „Wie lange?“ fragte Christina mit erschreckender Ruhe.  Drei Monate“, flüsterte Anna Petrowna. „Ich habe es zufällig herausgefunden.

Er hat mir versprochen, dass es bald vorbei ist. Ich habe ihn angefleht, es dir zu sagen, aber er …“ Christina hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Etwas in ihr war zerbrochen, aber gleichzeitig fühlte sie eine seltsame Klarheit.

Sie legte das Telefon wieder zurück, nahm das Salz und murmelte mit unerwartet ruhiger Stimme: „Danke für das Salz, Anna Petrowna. Ich muss zurück – der Teig wartet.“ Sie ignorierte die ausgestreckte Hand ihrer Schwiegermutter, die sie aufhalten wollte,

und verließ die Wohnung. Während sie die Treppe hinaufstieg, zählte sie die Stufen – eine alte Gewohnheit aus ihrer Kindheit. Damals half es gegen die Angst vor der Dunkelheit. Jetzt half es, ihre Gedanken zu ordnen.

Zuhause begrüßte sie der Duft von aufgegangenem Teig. Mechanisch begann sie, Salz hinzuzufügen und den Teig weiterzukneten. Ihre Gedanken liefen in Schleifen. Vor drei Monaten war Sergei zum ersten Mal spät von der Arbeit gekommen.

Er hatte sich mit ihren Lieblingsblumen entschuldigt, sie geküsst und versichert, dass es nur ein stressiges Projekt sei. Nun wusste sie, dass die Blumen keine liebevolle Geste waren, sondern ein Zeichen seines schlechten Gewissens.

Sie stellte das Brot in den Ofen, als die Tür sich öffnete. Sergei war zurück. „Kochst du schon?“ fragte er lächelnd. „Ich dachte, wir bestellen heute etwas.“ Christina drehte sich langsam zu ihm um. Ihr Blick war ruhig, aber schneidend.

„Ich war heute bei deiner Mutter“, sagte sie. „Ich habe Salz geholt.“ Sergei erstarrte. Sein Lächeln verschwand. „Ich denke, wir müssen reden“, fügte Christina hinzu. „Über Mascha R. und dein zweites Telefon.“

Sergei ließ sich auf einen Stuhl sinken, sah plötzlich um Jahre gealtert aus. Er stammelte etwas von einer Affäre, die „einfach passiert“ sei, von einem Fehler, den er bereue. Aber Christina hörte kaum zu.

„Weißt du, was am schlimmsten ist?“ fragte sie leise. „Nicht der Betrug selbst. Sondern dass du deine Mutter hineingezogen hast. Dass du sie hast lügen lassen. Sie liebt uns beide – wie konntest du ihr das antun?“

Sergei schloss die Augen, seine Hände bebten. „Ich werde es beenden“, sagte er. „Heute noch.“ Christina schüttelte den Kopf. „Nein. Deine Entscheidung hast du längst getroffen – als du dieses Telefon gekauft hast. Jetzt ist es an mir, eine Entscheidung zu treffen.“

Sie zog das Brot aus dem Ofen, stellte es zum Abkühlen hin. Der Duft erfüllte den Raum – ein tröstlicher, vertrauter Geruch. Doch diesmal brachte er keinen Trost. „Ich werde zu einer Freundin gehen“, sagte sie ruhig. „Morgen. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Und du solltest sie auch nutzen.“

Sergei stand auf, taumelte fast zur Tür. „Ich liebe dich, Christina. Wirklich.“ Sie sah ihn nicht an, als sie antwortete: „Ich habe dich auch geliebt. Vielleicht liebe ich dich immer noch. Aber manchmal reicht Liebe nicht aus.“

Als sich die Tür hinter ihm schloss, sackte Christina auf den Boden. Die Tränen, die sie zurückgehalten hatte, brachen hervor. Sie weinte um das, was gewesen war, um das, was nie mehr sein würde.

In dieser Nacht schlief sie nicht. Stattdessen packte sie methodisch das Nötigste zusammen. Dokumente, Kleidung, ihr Laptop. Jedes Stück hatte Erinnerungen – das Kleid vom ersten Date, das Hochzeitsalbum, eine zerbrochene Tasse, die Sergei immer hatte kleben wollen.

Am Morgen klingelte ihr Telefon. Anna Petrowna. „Kristina, bist du wach? Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen … Sergei war hier. Er hat das Telefon mitgenommen. Er sagte, du weißt alles. Bitte, komm zu mir. Lass uns reden.“

Christina schloss die Augen. „Jetzt nicht, Anna Petrowna. Ich muss allein sein. Und Sie wahrscheinlich auch.“ „Ich dachte … es wird schon gut werden …“ schluchzte die ältere Frau. „Manchmal“, sagte Christina leise, „macht Schweigen alles nur schlimmer.“

Später, im Büro, begrüßten die Kollegen sie wie immer, ahnungslos, dass ihr Leben sich gerade in ein „Vorher“ und ein „Nachher“ geteilt hatte. Am Mittag schrieb ihre Freundin Lena: „Ich habe das Gästezimmer vorbereitet. Komm, wann du willst.“

Christina atmete tief durch. Vielleicht war dies der erste Schritt. Vielleicht hatte sie endlich gelernt, zuerst an sich selbst zu denken.

(Visited 916 times, 1 visits today)
Rate this article