Ein unerwartetes Geheimnis und ein Geschenk aus der Vergangenheit, — Dim, du glaubst nicht, was heute im Restaurant passiert ist!— Elena stürmte in die Wohnung, schmiss auf dem Weg ihre Schuhe von den Füßen und warf ihre Tasche auf die Kommode.
Ihre Wangen glühten vor Aufregung, die Augen funkelten. Dmitri hob den Blick vom Tablet, legte den Stylus beiseite und betrachtete seine Frau mit einem amüsierten Lächeln. Auf dem Bildschirm war ein fast fertiger
Entwurf für eine Kinderbuchillustration zu sehen – ein flauschiges, rot getigertes Kätzchen mit einem noch unfertigen Schwanz. — Erzähl schon! — Er setzte sich auf, während Elena sich neben ihn auf das Sofa plumpsen ließ, die Beine unter sich schlagend.
— Ein französischer Restaurantkritiker! Einfach so! Ohne Vorwarnung! — Sie warf die Hände in die Luft. — Ich dachte, mein Herz bleibt stehen, als die Restaurantleiterin in die Küche stürzte und rief: „Er ist hier! Er ist hier!“
— Und? Wie ist es gelaufen? — Großartig! Nein, nicht nur großartig – es war spektakulär!— Elena drehte sich zu ihm, ihre Hände gestikulierend, so heftig, dass sie beinahe eine halbvolle Kaffeetasse vom Tisch gefegt hätte.
— Er hat meinen Lachs mit Bärlauch und Selleriepüree bestellt. Und weißt du, was dann passiert ist? Ich bin extra rausgegangen, als er fast fertig war – und, Dim, er hat eine zweite Portion verlangt! Ein Franzose! Ein Gourmet-Kritiker! Er wollte mehr!
Dmitri lachte, seine Brust schwoll vor Stolz. — Lenotschka, du bist unglaublich. Du bist die beste Köchin der Welt. — Ach, hör auf, — Sie schob ihn spielerisch mit der Schulter an. — Aber weißt du was? Der Besitzer meinte, wenn die Rezension gut ausfällt, dann könnte das… eine Beförderung bedeuten!
— Natürlich! Und du verdienst es absolut! Sie plauderten weiter – Elena über den aufregenden Abend in der Küche, Dmitri über seine neuen Zeichnungen. Draußen tauchte die Dämmerung die Stadt in goldenes Licht,
während in der Küche der längst vergessene Tee langsam abkühlte. Ein Verdacht, der das Herz zerreißt, Eine Woche später entschied Elena, ihrem Mann eine Überraschung zu machen. Der Tag war ungewöhnlich ruhig gewesen
– keine panischen Kellner, keine verbrannten Soßen, keine unerwarteten Kritiker. Perfekt. Sie beendete ihre Schicht früher als sonst und lief voller Vorfreude zum Lieblings-Sushi-Laden ihres Mannes.
— Hiro-san! Einmal den „Imperator“-Sushi-Set und eine Flasche Sake, bitte. Der ältere Japaner, der hinter dem Tresen stand, lächelte sie an und verneigte sich leicht. — Ah, Elena-san! Es ist lange her. Wie geht es Ihrem Mann? Zeichnet er noch?
— Oh ja, er hört gar nicht mehr auf. Heute will ich ihn ein wenig verwöhnen. Während ihr Essen verpackt wurde, stellte sich Elena vor, wie sich Dmitris Gesicht erhellen würde, wenn er die Überraschung sah.
Doch als sie sich dem Wohnhaus näherte, blieb sie plötzlich stehen. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Dmitri stand vor dem Eingang. Am Ohr sein Handy. Seine Stimme war gedämpft, aber sie konnte hören, wie er aufgeregt sprach:
— Ja, um sieben Uhr. Ich kann es kaum erwarten, dich zu treffen. Du hast keine Ahnung, wie lange ich darauf gewartet habe. Ein eiskalter Stich durchbohrte Elenas Brust. Ihre Finger umklammerten den Sushi-Beutel fester.
— Nein, meine Frau ahnt nichts. Der Beutel wurde schwer wie Blei in ihrer Hand. Ihre Gedanken überschlugen sich. — Bis später. Dmitri beendete das Gespräch und verschwand im Hausflur. Elena blieb wie angewurzelt stehen, das Blut rauschte in ihren Ohren.
Nein. Das kann nicht sein. Langsam stieg sie die Treppen hinauf. Vor der Wohnungstür hielt sie inne, ihr Schlüssel in der zitternden Hand. Vielleicht gibt es eine Erklärung. Vielleicht habe ich es falsch verstanden. Vielleicht…
Doch als sie die Tür öffnete, sah sie, wie Dmitri hastig eine Browserseite auf seinem Laptop schloss. — Lenok! Du bist früh heute! Was hast du da? — Sushi. Ich dachte… ich überrasche dich. Ihre Stimme klang fremd, dumpf. Dmitris Lächeln verblasste leicht.
— Ist alles okay? Ist etwas im Restaurant passiert? — Nein… Sie stellte die Tüte auf den Küchentisch. Ihr Blick brannte sich in seinen. — Dmitri… Ich habe dich vorhin gehört. Am Telefon. Über deine Verabredung um sieben.
Er erstarrte. Ein Schatten huschte über sein Gesicht. — Lena… du verstehst das falsch. — Dann erklär es mir. — Ich kann nicht. Noch nicht.— Dimitri, verdammt! Ich verdiene die Wahrheit! Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Dann plötzlich –
— Komm mit. — Was? — Komm einfach mit. Dann wirst du alles verstehen. Ein Geschenk aus der Vergangenheit, Das Taxi fuhr durch die nächtliche Stadt. Schweigend saßen sie nebeneinander, Elena mit verschränkten Armen,
Dmitri, die Finger unruhig auf seinem Knie trommelnd. Schließlich hielten sie vor einem kleinen, altmodischen Buchladen. — Hier sind wir. Elena runzelte die Stirn. — Ein Buchladen? Sie folgte ihm hinein. Der Geruch von altem Papier und Holz umhüllte sie.
— Ah, Dmitri! — Ein älterer Mann in Brille trat hinter einem Regal hervor. — Punktgenau! Und das ist Ihre bezaubernde Frau? Elena blinzelte verwirrt. — Freut mich, Sie kennenzulernen, meine Liebe. Ihr Mann hat sich wochenlang um dieses Juwel bemüht.
Mit bedachten Bewegungen zog der Mann ein in Samt eingeschlagenes Buch hervor und legte es vor ihr auf den Tisch. Als er den Stoff entfernte, stockte Elenas Atem. „Die Kochbuch-Sammlung der Gräfin M. A. Tolstaja, 1891.“
Ihre Hand zitterte, als sie über das ledergebundene Cover fuhr. — Das ist… — Die Kochbuchsammlung, von der deine Urgroßmutter immer erzählt hat. Die, die im Krieg verloren ging. Ich habe sie gefunden.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. — Du… du hast all das für mich getan? Dmitri lächelte weich und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. — Ich wollte dich überraschen. Aber anscheinend… war ich zu geheimnisvoll.
Ein Lachen, erst leise, dann befreit, entwich ihr. Sie schlang die Arme um seinen Hals, hielt ihn fest, als könnte sie ihn nie wieder loslassen. — Du bist ein Idiot, Dima. Mein liebster, wunderbarster Idiot.
Und während sie dort im flackernden Licht des Buchladens standen, wusste Elena, dass sie nie wieder an ihm zweifeln würde.