„Mama, wir müssen reden.“ Elena trat beiseite und ließ ihre Tochter eintreten. Etwas in deren Stimme ließ ihr Herz sich schmerzhaft zusammenziehen. „Komm rein, Liebes. Ich habe gerade Tee gemacht.
Deinen Lieblingstee – den, den du mir mitgebracht hast.“ „Nein, danke.“ Wika blieb mitten in der Küche stehen. Ihre Haltung war steif, ihre Finger umklammerten das Handy. „Ich bleibe nicht lange. Mama, du musst die Wohnung verlassen. Bis morgen.“
Elena erstarrte, der Teekessel in ihrer Hand zitterte. Sie musste sich verhört haben. „Was hast du gesagt?“ „Die Wohnung muss geräumt werden. Morgen.“ Wika tippte schnell auf ihrem Bildschirm herum,
als wäre das nur eine Formalität. „Ich kann das nicht länger hinauszögern.“ Ein Schwall heißen Tees ergoss sich über Elenas Hand, doch sie spürte den Schmerz kaum. „Wika, ich verstehe nicht… Das ist doch mein Zuhause. Du selbst—“
„Es ist nur eine Wohnung, Mama“, unterbrach Wika sie und seufzte ungeduldig. „Du hast hier lange genug gewohnt, aber ich kann dich nicht weiter durchfüttern.“ „Durchfüttern?“ Elena lachte nervös auf. „Liebes, ich zahle selbst die Nebenkosten, ich putze, ich—“
„Mama, bitte, lassen wir das.“ Wika verzog das Gesicht. „Die Entscheidung ist gefallen. Leg die Schlüssel einfach auf den Tisch.“ Sie drehte sich zur Tür, doch Elena griff nach ihrem Handgelenk. „Warte! Erklär es mir wenigstens – warum? Was ist passiert?“
„Nichts ist passiert. Es ist einfach nur ein Geschäft, Mama. Die Wohnung kann teurer vermietet werden.“ Die Tür schlug ins Schloss, und Elena blieb allein zurück. Ein dumpfes Rauschen erfüllte ihre Ohren.
Langsam ließ sie sich auf den Hocker sinken und starrte auf die Teepfütze auf dem Tisch. Im Spiegelbild der Flüssigkeit tanzten die goldenen Reflexe der untergehenden Sonne. Wie in Trance stand sie auf und ging ins Wohnzimmer.
An der Wand hingen Fotos – Wika bei ihrem Schulabschluss, strahlend in ihrem weißen Kleid. Ein Stück daneben ein Bild vom Sommerurlaub: Wika, ein kleines Mädchen mit Sand an den Wangen, baute eine Burg,
während Elena lachend versuchte, sie vor den heranrollenden Wellen zu schützen. Damals hatte sie gerade ihre Datscha verkauft, um Wikas Studium zu finanzieren. Aber war das wirklich ein Opfer gewesen? Nein. Es war einfach… Liebe.
„Meine Kleine…“, flüsterte Elena und strich mit den Fingerspitzen über das Glas des Rahmens. „Wie konntest du nur…?“ Die Nacht schlich unaufhaltsam heran. Mechanisch begann Elena, ihre Sachen in den alten Koffer zu packen.
Immer wieder hielt sie inne, strich mit den Händen über die vertrauten Oberflächen der Wohnung: die rissige Farbe in der Ecke, die sie schon längst hatte ausbessern wollen; das warme Licht ihrer Lieblingslampe;
die tanzenden Schatten der Geranie auf der Wand. Plötzlich war ihr jede Kleinigkeit unsagbar kostbar. Tief in ihrem Innern keimte eine absurde Hoffnung: Vielleicht würde am Morgen das Telefon klingeln, vielleicht würde Wika sagen,
es sei ein Missverständnis gewesen, ein schlechter Scherz. Irgendetwas. Doch das Telefon blieb stumm. Und die Uhr rückte unaufhaltsam dem Morgen entgegen. Die erste Nacht war drückend heiß. Elena saß auf einer Parkbank,
klammerte sich an ihren abgenutzten Koffer und starrte in den sternenklaren Himmel. In den warm erleuchteten Fenstern der Stadt schliefen Menschen in ihren Betten – aber sie… Gott, wie war es nur so weit gekommen?
Die Schlüssel hatte sie sorgfältig auf den Küchentisch gelegt, mit einem Papiertuch poliert. Warum das wichtig gewesen war, wusste sie selbst nicht genau. Vielleicht, weil sie hoffte, dass Wika es bemerken würde.
Dass ihr einfiele, wie sehr ihre Mutter immer auf kleine Dinge geachtet hatte. „Guten Abend.“ Eine raue Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Ein bärtiger Mann in einer abgetragenen Jacke ließ sich am anderen Ende der Bank nieder.
„Keine Angst“, murmelte er. „Ich setz mich nur kurz. Sie schlafen wohl auch draußen?“ Elena umklammerte ihren Koffer fester. „Nein, was denken Sie… Ich mache nur… einen Spaziergang.“ Der Mann schnaubte amüsiert.
„Mit einem Koffer? Um drei Uhr nachts?“ „Ja, genau“, erwiderte Elena und versuchte zu lächeln, doch ihre Lippen zitterten. „Ich… ich liebe Nachtspaziergänge.“ „Verstehe.“ Er zog ein Apfel aus der Tasche und hielt es ihr hin.
„Sauber, hab’s gerade am Brunnen gewaschen.“ Elena schüttelte den Kopf, aber ihr Magen knurrte laut. Sie hatte seit gestern Morgen nichts gegessen. „Ich heiße Semjon“, sagte der Mann und biss ins Apfel. „Seit drei Monaten auf der Straße.
Frau hat mich rausgeschmissen. Und Sie? Wer hat Sie rausgeworfen?“ „Meine Tochter“, flüsterte Elena, und ihre eigene Ehrlichkeit erschreckte sie. Semjon seufzte. „Die Kinder von heute… Sind anders als wir. Mein Sohn ist in Amerika.
Warte seit zwei Jahren auf einen Anruf.“ Als der Morgen graute, war Semjon verschwunden. Auf der Bank lag ein zweites Apfel und ein Zettel mit einer Adresse. „Da ist’s warm“, hatte er gesagt. „Und manchmal gibt’s Essen.“
Die Vorstellung, in eine Notunterkunft zu gehen, widerstrebte ihr zutiefst. Nein… Vielleicht… vielleicht konnte sie zu Anna gehen? Die Nachbarin war immer freundlich gewesen. Es kostete Überwindung, aber schließlich drückte sie auf die Klingel im fünften Stock.
„Elena?“ Anna öffnete in ihrem geblümten Morgenmantel die Tür. „Gott im Himmel, was ist mit dir passiert? Du siehst ja furchtbar aus!“ „Anna…“ Elenas Stimme brach. „Darf ich ein paar Tage bei dir bleiben?“
Der Duft von frischgebackenen Brötchen lag in Annas kleiner Küche. Während Elena stockend ihre Geschichte erzählte, schüttelte Anna nur den Kopf. „Ich hab’s dir immer gesagt – du hast sie zu sehr verwöhnt.
Erinnerst du dich an ihren Ton auf deiner Geburtstagsfeier? Und trotzdem hast du sie immer ‚mein Schatz‘ genannt…“ „Hör auf, Anna.“ „Nein, das tue ich nicht!“ Anna stellte ihre Tasse mit einem Knall auf den Tisch. „Sie war schon immer so.
Erinnerst du dich, wie du ihr zur Hochzeit dein ganzes Erspartes gegeben hast? Und sie nicht mal danke gesagt hat?“ Elena starrte aus dem Fenster, in dem sich das erwachende Leben der Stadt spiegelte.
Menschen eilten zur Arbeit – Menschen mit einem Zuhause, einer Familie, mit Sicherheit. Du wirst es schaffen, Lena“, sagte Anna sanft und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Du hast immer einen Weg gefunden.“
Drei Tage später blätterte Elena in einem alten Notizbuch, als ein Name ihr ins Auge fiel: Wladimir. Ein ehemaliger Kollege ihres Mannes, ein Freund der Familie. Er hatte ihr vor Jahren Hilfe angeboten.
Zitternd wählte sie die Nummer. „Hallo, Wladimir? Hier ist Elena… Ja, Elena Petrowa…“ Eine Stunde später saß sie in seinem Büro. „Deine Tochter hat dich also rausgeworfen?“ Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
„Tja… Wir suchen gerade jemanden für die Suppenküche in der Notunterkunft. Vorübergehend natürlich, aber immerhin… Du kannst doch kochen?“„Mein ganzes Leben lang.“ „Dann bleibst du hier. Wir haben eine kleine Dienstwohnung.“
Elena atmete tief durch. Zum ersten Mal seit langem keimte in ihr ein Funken Hoffnung.
Das war eine sehr bewegende Geschichte. Sie zeigt, wie Verlust oft unerwartet eine neue Richtung geben kann. Wenn du möchtest, kann ich den Text noch weiter verfeinern! 😊