Ich bot einer Wahrsagerin mit einem Neugeborenen Unterschlupf – und war entsetzt, als ich am Morgen in das Zimmer meiner kranken Tochter blickte.

Unterhaltung

Als ich einer wandernden Wahrsagerin und ihrem Neugeborenen Unterschlupf gewährte, dachte ich, ich würde lediglich zwei verlorenen Seelen ein Dach über dem Kopf bieten. Doch am nächsten Morgen geschah etwas,

womit ich niemals gerechnet hatte: Meine eigene Tochter war spurlos aus ihrem Zimmer verschwunden. An jenem Abend, als die Dunkelheit bereits wie ein schwerer Schleier über der Landstraße lag, bog ich müde von der Autobahn ab.

Der lange, ermüdende Arbeitstag lastete noch immer schwer auf meinen Schultern. Im schwachen Licht meiner Scheinwerfer zeichnete sich eine seltsame Gestalt am Straßenrand ab. Regungslos, aber dennoch auf eigenartige Weise lebendig.

Je näher ich kam, desto klarer wurde das Bild: Eine Frau. Ihre Hand hob sich schwach, aber mit einer eigenartigen Entschlossenheit, als ob sie all ihre verbliebene Hoffnung in diese eine Geste legte. Ich hielt an. Mein Instinkt als Arzt setzte augenblicklich ein.

Sie war jung, vielleicht Mitte dreißig, und trug ein bunt gemustertes Kopftuch. Ihr Kleid flatterte im Wind und schien im Licht meiner Scheinwerfer fast zu tanzen. Es war, als sei sie einem alten Jahrmarkt entstiegen – eine geheimnisvolle Wahrsagerin, die Rätsel und Mysterien in sich trug.

„Helfen Sie mir…“, flüsterte sie kaum hörbar, als ich aus dem Auto stieg und mich neben sie kniete. „Sind Sie verletzt?“, fragte ich vorsichtig, während mein Blick ihren Körper nach sichtbaren Wunden absuchte.

Sie schüttelte den Kopf, doch ein Schmerz verzerrte ihre Züge. „Nein… keine Verletzung. Ich… mein Kind… es kommt.“ Plötzlich wurde mir klar, was hier geschah. Wehen. Der Schmerz stand ihr in die Augen geschrieben, und die Anzeichen für die bevorstehende Geburt waren unübersehbar.

„Bleiben Sie ruhig“, sagte ich, während ich versuchte, meine eigene Nervosität zu unterdrücken. „Ich bin Arzt. Ich werde Ihnen helfen.“ Wir waren allein auf der Straße, nur die fernen Schreie eines Uhus und die leise Melodie der Sterne leisteten uns Gesellschaft.

Es war Jahre her, dass ich eine Geburt begleitet hatte, aber jetzt gab es keinen Raum für Zweifel. „Wie heißen Sie?“, fragte ich, um eine Verbindung herzustellen, während ich ein sauberes Handtuch aus meinem Auto holte.

„Miroslava“, hauchte sie, und ihr Atem stockte, als eine neue Welle von Schmerzen durch ihren Körper fuhr. Sie griff nach meiner Hand, und ich spürte, wie fest sie zudrückte. Ich sprach beruhigend auf sie ein, lenkte sie durch die Wehen,

jedes Wort bedacht, jede Berührung voller Zuversicht. Als schließlich der Kopf des Kindes sichtbar wurde, hielt die Welt für einen Moment den Atem an. „Fast geschafft, Miroslava“, sagte ich sanft. „Ein letzter starker Druck, dann ist es vorbei.“

Mit einem tiefen Atemzug sammelte sie ihre verbliebenen Kräfte und drückte. Kurz darauf hielt ich ein winziges, warmes und zitterndes Leben in meinen Händen. Das Baby stieß ein leises Weinen aus, ein Zeichen seines Ankommens in dieser Welt.

Ich wickelte es vorsichtig in das Handtuch und legte es behutsam in Miroslavas Arme. Tränen rannen über ihr Gesicht, wie ein lang ersehnter Regen nach einer endlosen Dürre. „Soll ich Sie ins Krankenhaus bringen?“, fragte ich, bemüht, die Sorge in meiner Stimme zu verbergen.

„Ich kann nicht“, sagte sie schnell und wandte ihren Blick ab. „Ich bin vor meinem Mann geflohen. Ich kann niemandem vertrauen.“ Ihre Worte waren von Rätseln durchzogen, doch die Angst in ihren Augen war echt. Ich stellte keine weiteren Fragen.

Ein Gedanke blitzte in meinem Kopf auf: Was sollte ich jetzt tun? Nach dem Tod meiner Frau durch Krebs zog ich unsere sechsjährige Tochter Sofia allein groß. Aber Miroslava und ihr Kind brauchten Hilfe.

„Ich habe ein Gästezimmer“, sagte ich schließlich, als ob eine unsichtbare Macht mir die Worte eingab. „Sie können ein paar Tage bei uns bleiben, bis sich die Dinge klären.“ Ich nahm sie mit zu meinem Haus. Miroslava bewegte sich vorsichtig durch das Gästezimmer,

wo sie sich schließlich mit ihrem Neugeborenen niederließ. Sie hielt das Baby, als wäre es der einzige Anker in einem tobenden Sturm. „Früher habe ich in einem Wanderzirkus gearbeitet“, erzählte sie später leise, während sie an einem Sandwich knabberte.

„Ich habe die Zukunft gelesen, Hände interpretiert. Es war nur ein Leben – nichts Besonderes.“ Doch am nächsten Morgen passierte etwas Merkwürdiges. Als ich in Sofias Zimmer ging, war ihr Bett leer. Panik durchbohrte meine Brust wie ein kalter Dolch.

„Sofia?“, rief ich, doch keine Antwort kam zurück. Ich stürmte zu Miroslavas Zimmer – und dort fand ich sie. Sofia lag zusammengerollt neben Miroslava, die sanft über ihr Haar strich. Auch das Neugeborene schlief friedlich an ihrer Seite.

„Was ist passiert?“, fragte ich leise, während mein Herz noch immer schneller schlug. Miroslava schenkte mir ein beruhigendes Lächeln. „Sofia hat in der Nacht geweint. Ich bin zu ihr gegangen und habe ihr eine Geschichte erzählt… Von einem Traumwächter, der alle Albträume vertreibt.“

Während ich die Szene vor mir betrachtete, durchströmte mich ein seltsames Gefühl. Es war, als hätte sich in dieser Nacht etwas Magisches ereignet – etwas, das nicht nur Sofias Seele, sondern auch meine berührt hatte.

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