Der Zauber des Kessels – In diesem Schneesturm?!
– Ja, selbst wenn’s ein Hurrikan wäre! – Wütend zog Marina ihre Stiefel über. – Denn wenn ich bleibe… – Der Satz blieb unvollendet, da die Tür mit einem ohrenbetäubenden Knall hinter ihr ins Schloss fiel.
Der Wind stieß ihr einen Schwall eisiger Schneekristalle ins Gesicht, als wollte er sie höhnisch aufhalten. Marina beugte trotzig den Kopf und stapfte los. Zwanzig Minuten bis zu Lenka – genug Zeit, um sich abzukühlen.
Ihr Handy vibrierte. Andrej. Marina verzog das Gesicht und schaltete den Ton aus. Sie hatte genug für heute. Lenka öffnete erst nach einer Weile. Vor ihr stand eine zerzauste, durchgefrorene Version der sonst makellosen Marina.
Offenbar war Lenkas Silvesternacht ein voller Erfolg gewesen. – Du spinnst doch, in so einem Wetter herumzulaufen! – Lenka gähnte, machte aber Platz. – Andrej…
– Was hat er diesmal angestellt?– Die Freundin griff routiniert nach Tee und Keksen. Zehn Jahre Freundschaft hatten sie gelehrt: Wenn Marina in einem Schneesturm auftauchte, brauchte es dringend Zucker.
– Er hat mir… einen Kochtopf geschenkt. Und eine Suppenkelle. – Marina ließ sich auf die Küchenbank fallen. – Und seiner Mutter eine Nerzjacke für zweihunderttausend! – Und das ist alles? – Das ist alles?!
– Marina schlug mit der Faust auf den Tisch. –Seine Mutter hat schon das ganze Haus mit ihrer «ach-so-lieben» Stimme vollgeträllert: «Mein Andruscha, so ein fürsorglicher Sohn, hat mir eine echte Nerzjacke geschenkt!»
– Marina verzog den Mund in einer bitteren Imitation. – Und morgen erfährt sie von meinem «Geschenk». Dann geht das Drama erst richtig los. Lenka blies in ihren Tee und dachte nach. –Vielleicht steckt mehr dahinter?
– Mehr? – Marina schnaubte. – Was soll in einem Topf schon sein? Eine Bedienungsanleitung? «Liebe Ehefrau, hier ein subtiler Hinweis: Verbring mehr Zeit in der Küche»? – Na ja… – Lenka zog eine Augenbraue hoch. – Manchmal sind die Dinge nicht so, wie sie scheinen.
Die Heimkehr und ein Geheimnis im Kochtopf. Der Heimweg war ein einziger Kampf gegen den Schneesturm. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht, biss ihr durch den Mantel. Doch nichts konnte den Sturm in ihrem Inneren übertreffen.
Die Wohnung war dunkel und still. Marina knipste das Licht an. Leere. Eine kalte Tasse Tee auf dem Tisch. Der Laptop stand offen – irgendeine Website mit Zahlen, Diagrammen und Kommentaren in fremden Sprachen.
Na und? Soll er doch seine Kochfantasien ausleben!“ demonstrativ marschierte sie am unberührten Geschenk vorbei. Die Lichterkette im Schlafzimmer blinkte träge. Vor ein paar Tagen hatten sie sie gemeinsam aufgehängt.
Andrej war so aufmerksam gewesen, so liebevoll. Sogar die kleinen Einhorn-Kugeln hatte er wiedergefunden, die sie im ersten Ehejahr gekauft hatten. „Nein! Nein, nein, nein! Ich lasse mich nicht erweichen!“
Ihr Handy vibrierte erneut. Andrej. Sie drückte den Anruf weg. Doch ihr Blick wanderte immer wieder zu dem verdammten Geschenk. „Was, wenn Lenka recht hat?“ Ding-Dong. Marina riss die Tür auf. Draußen stand Vera Petrowna, die Quasselstrippe des Hauses.
– Marinotschka! Frohes neues Jahr! Ich habe Schanjeschki gebacken, probier mal! – Sie beugte sich verschwörerisch näher. –Sag mal… stimmt es, dass Andrej… –Was? – … im Fernsehen war? – Was?! – Ja! Ich habe ihn gestern auf einem Kochkanal gesehen.
Oder? So ein nettes Programm… Marina starrte sie an. – Vera Petrowna, das war sicher ein Irrtum. Mein Mann führt nur einen kleinen Blog. Zum Spaß. – Ach so? Na ja… Aber die Nerzjacke… – Gute Nacht, Vera Petrowna!
– Marina knallte die Tür zu. Ihr Herz raste. «Was, wenn es kein Irrtum war?» Das große Geheimnis.Der Schlüssel drehte sich im Schloss. „Er ist zurück…“– Marish, bist du da? Sie sagte nichts. Dann, eine zweite Stimme
– die Schwiegermutter. Ohne die teure Jacke. – Mach den Fernseher an. Kanal 21. – Warum sollte ich?! – Weil ich dich nie um etwas bitten würde, wenn es nicht wichtig wäre. Widerwillig griff Marina zur Fernbedienung. Der Bildschirm flackerte auf.
Ein opulentes Kochstudio. Eine Jury. Eine aufgeregte Menge. Und mitten drin – Andrej. Er stand dort mit einer Brigade von Köchen, gab Anweisungen, erklärte mit strahlenden Augen. – Das… das ist doch…
– Dein Mann. Der «nur einen kleinen Blog führt». Marinas Herz setzte aus. Andrej setzte sich neben sie. – Ich wollte dir eine Überraschung machen. – Was für eine Überraschung? – Erinnerst du dich an das Rezept deiner Großmutter?
Die Apfel-Teigtaschen mit der geheimen Zutat? – Das Rezept, das du nie herausfinden konntest? – Genau das. – Er grinste. – Ich habe es modernisiert. Und damit einen Wettbewerb gewonnen. Erster Platz: ein Jahresvertrag mit dem Kochkanal. Und…
Er schob ihr einen Kochtopf hin. – Jetzt schau endlich rein. Mit zitternden Fingern öffnete sie den Topf. Ein weißer Umschlag fiel heraus. „Für meine wundervolle, störrische Ehefrau.“ Drinnen: Zwei Flugtickets nach Italien.
– Der Hauptgewinn: eine kulinarische Reise durch die schönsten Familienrestaurants. Marina schnappte nach Luft. – Aber die Jacke…? – Ist künstlich! – Die Schwiegermutter hob dramatisch die Arme. – Ich bin doch Tierschützerin!
Aber wir mussten dich ablenken. Sonst hättest du alles erraten. Dann trat auch ihre eigene Mutter ein – mit einer Schale dampfender Apfel-Vareniki. – Tja, Kind. Hättest du mal in Andrejs Blog geschaut. Er beginnt jeden Beitrag mit: «Danke an meine Frau, die mich inspiriert.»
Marina ließ sich auf den Stuhl sinken. Sie sah in Andrejs Augen – diese Augen, die sie immer geliebt hatte. Voller Wärme, voller Stolz. – Und die Suppenkelle? hauchte sie. – Na, womit hat unsere Liebe angefangen?
– Andrej grinste. – Beim Kochen. Und du hast immer gesagt: «Eines Tages kaufe ich mir eine richtige Suppenkelle!» Marina lachte – Tränen liefen ihr über die Wangen. – Ich bin eine Idiotin, oder? Andrej zog sie in seine Arme.
– Nein. Du bist meine. Draußen heulte der Sturm weiter. Aber drinnen… drinnen war es warm.