Aus dem Flur hallte plötzlich ein aufgeregter Kinderzuruf: — Igor! Komm sofort zurück! Svetlana verzog das Gesicht. — Diese Kinder werden immer unverschämter. Sie rennen hier herum, als wäre das ein Übungsplatz. Kein Funken Erziehung!
Jelena warf ihr einen schnellen Blick zu. Sie wusste genau, dass Svetlana keine warmen Gefühle für die Kinder ihres Mannes hegte, auch wenn sie sich bemühte, es vor Dmitri Viktorowitsch zu verbergen. Doch sobald er nicht da war, zeigte sich ihr wahres Gesicht.
Plötzlich stürmte der zwölfjährige Igor in die Küche, außer Atem, mit funkelnden Augen. Hinter ihm, mit ebenso hochrotem Kopf, rannte Lisa, seine neunjährige Schwester. — Gib das zurück! Das ist mein Heft! — Lisa sprang hoch, versuchte verzweifelt,
an ihr Schulheft zu kommen, das Igor grinsend über seinem Kopf hielt. — Kinder! — Svetlanas scharfer Ausruf ließ sie abrupt erstarren. — Was soll dieses Benehmen? Sofort ab in eure Zimmer und macht eure Hausaufgaben!
— Wir sind fast fertig, — murmelte Lisa kleinlaut und senkte den Blick. — Ich habe gesagt: Marsch! — Svetlanas Stimme klang wie ein Peitschenhieb. Ohne ein weiteres Wort trotteten die Kinder hinaus, ihre Schultern hingen herab.
Jelena konnte nicht übersehen, wie sehr sie sich verändert hatten, seit Svetlana in ihr Leben getreten war. Früher hatten sie oft in die Küche geschaut, beim Plätzchenbacken geholfen, gelacht und von der Schule erzählt.
Doch inzwischen schlichen sie wie Schatten durchs Haus und hielten sich möglichst von ihrer Stiefmutter fern. Svetlana drehte sich abrupt zu Jelena um.
— Übrigens, Jelena, heute Abend erwarten wir Gäste.
Ich habe ein besonderes Menü zusammengestellt. — Aber das Menü ist doch längst geplant… — Es wird geändert, — unterbrach sie Svetlana kühl. Sie ließ ein Blatt Papier auf die Arbeitsfläche fallen. — Hier ist die neue Liste.
Außerdem wird eine Torte aus der Konditorei geliefert. Achten Sie darauf, dass sie richtig gelagert wird, bis die Gäste eintreffen. Jelena überflog die Liste. Anspruchsvolle Vorspeisen, exquisite Hauptgerichte. Dafür blieb viel zu wenig Zeit!
— Und bitte seien Sie diesmal besonders aufmerksam, — fügte Svetlana hinzu, bevor sie mit klackernden Absätzen verschwand. — Es kommen wichtige Gäste. Ihr Dessert können Sie wegwerfen. Ich möchte kein Risiko eingehen.
Jelena ballte unwillkürlich die Fäuste, als die Küchentür hinter Svetlana ins Schloss fiel. In letzter Zeit veranstaltete sie immer häufiger solche improvisierten Dinnerpartys – immer dann, wenn Dmitri Viktorowitsch auf Geschäftsreise war.
Diesmal war er bereits drei Tage fort, und seine Rückkehr war erst in einer Woche geplant. Am Abend wurde die Torte geliefert. Eine edle Konditorei, eine makellose Verpackung, kunstvolle Verzierungen. Doch als Jelena den Deckel anhob,
stieg ihr ein unverkennbarer Duft in die Nase. Sie erstarrte. Nüsse. Zwischen den filigranen Dekorationen prangten gehackte Nüsse. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie erinnerte sich genau an die strenge Regel von Dmitri Viktorowitsch:
Keine Nüsse im Haus! Weder für ihn noch für die Kinder – alle drei hatten eine schwere Allergie. Schon die kleinste Menge konnte eine lebensbedrohliche Reaktion auslösen. Ohne zu zögern eilte Jelena auf der Suche nach Svetlana aus der Küche.
Sie fand sie im Wohnzimmer, wo sie sich vor einem großen Spiegel drehte und ein elegantes Abendkleid begutachtete. — Svetlana, entschuldigen Sie, aber die Torte enthält Nüsse. Das könnte für die Kinder gefährlich werden, — sagte Jelena behutsam.
Svetlana hob nicht einmal den Blick. — Ich dachte, Sie seien Köchin und keine Ärztin, — entgegnete sie eisig und strich eine unsichtbare Falte aus dem Stoff. — Kümmern Sie sich um Ihre Arbeit.
— Aber sie haben eine schwere Allergie! Letztes Jahr gab es sogar eine Krankenhaus… — Schluss jetzt! — fuhr Svetlana ihr über den Mund, ihre Stimme scharf wie ein Messer. — Ich entscheide, was hier serviert wird.
Und Sie haben meinen Anweisungen Folge zu leisten! Jelena spürte, wie sich eine eiskalte Faust um ihr Herz legte. War das Absicht? Hatte Svetlana den Kuchen mit Nüssen bewusst gewählt? Nur um den Kindern zu schaden? Oder steckte mehr dahinter?
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Keine Zeit zum Grübeln. Die Gäste würden in einer Stunde eintreffen, und es gab noch viel zu tun. Doch egal, wie sehr sie sich bemühte, ihre Gedanken kehrten immer wieder zur Torte zurück.
Ein leises Geräusch ließ sie aufblicken. Lisa stand in der Tür. — Jelena… darf ich hierbleiben? — fragte sie leise. — Ich hab die Hausaufgaben schon fertig. — Natürlich, mein Schatz, — antwortete Jelena sanft. — Sei nur vorsichtig, hier ist es gerade sehr heiß.
Lisa nickte und setzte sich auf ihren Lieblingsplatz – den hohen Stuhl am Fenster. Früher hätte sie gefragt, ob sie helfen darf. Heute saß sie einfach nur da, still und klein. Jelena atmete tief durch. Die Entscheidung fiel in einem einzigen Moment.
Sie hob die Tortenschachtel, ging mit festen Schritten Richtung Speisesaal – und ließ sie versehentlich fallen. Mit einem dumpfen Schlag klatschte die Torte auf den Boden. Die kunstvolle Dekoration war zerstört, der köstliche Biskuit ein einziges Chaos aus Creme und Krümeln.
Ein entsetzter Aufschrei ertönte hinter ihr. — WAS hast du getan?! Jelena drehte sich langsam um. Svetlana stand in der Tür, ihre Augen funkelten vor Zorn. — Es… es war ein Versehen, — sagte Jelena ruhig, obwohl ihr Herz raste. — Ich werde es aufräumen.
Svetlana fixierte sie mit einem Blick, der Funken zu sprühen schien. Lisa duckte sich erschrocken auf ihrem Stuhl. — Mach den Dreck weg! Und zaubere eine Alternative. *Sofort!* Jelena wusste, dass sie dafür bezahlen würde. Doch das war es wert.
Drei Tage später: Dmitri Viktorowitsch kehrte früher als erwartet nach Hause zurück. Igor und Lisa stürmten ihm entgegen, warfen sich in seine Arme und erzählten aufgeregt von ihren Erlebnissen.
— Na, na, meine Kleinen, lasst mich wenigstens ankommen, — lachte er, während er sie drückte. Die Stimmung im Haus veränderte sich schlagartig. Lachen, Leben, Freude. Und sogar Svetlana setzte eine perfekte Maske auf – doch nicht für lange.
Denn in dieser Nacht eskalierte alles. Mit einem ohrenbetäubenden Knall flog die Küchentür auf. Svetlana stürmte herein, ihre Augen funkelten vor Wut. — Du Diebin! — fauchte sie und packte Jelena am Kragen. — Ich weiß, dass du es warst!
— Was…? — Jelena wich zurück. — Mein Diamantarmband ist weg! Und du hast in meinen Sachen herumgewühlt! Diener und Hausangestellte versammelten sich, flüsterten, starrten mit großen Augen.
— Ich habe nichts gestohlen, — sagte Jelena ruhig. — LÜGE! Du bist gefeuert! Und dann… — Halt! — Dmitri Viktorowitschs Stimme schnitt durch den Tumult. Ein eiskalter Blick auf seine Frau. — Ich möchte eine Sache hören, Jelena. Was war mit dem Kuchen?
Und mit jedem Wort, das Jelena sprach, wurde Svetlanas Gesicht blasser. — Pack deine Sachen und verschwinde. Sofort, — befahl er schließlich. Ein letztes Kreischen. Ein Wutausbruch. Und dann… war sie weg.
Und mit ihr die Dunkelheit. Die Kinder lachten wieder. Die Küche duftete nach Plätzchen. Und Jelena wusste: Sie hatte die richtige Entscheidung getroffen.