„Meine Schwester schickte mir ein Foto von ihrer Hochzeitsreise, aber der Mann neben ihr war nicht ihr Ehemann.“

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Als meine Schwester Lily heiratete, war das die Hochzeit des Jahres – ein Ereignis, das alle Blicke auf sich zog.

Sie war immer das „goldene Kind“ – diejenige, deren Leben wie aus einem Buch zu stammen schien, perfekt und durchgeplant.

Eric, ihr Mann, war der Traumtyp: charmant, zuvorkommend und von einer Liebe zu ihr erfüllt, die alle um uns herum neidisch machte.

Ihr Hochzeitstag schien wie ein Märchen – und die Flitterwochen nach Bali sollten das große Happy End sein.

So dachte ich jedenfalls.

Am Tag nach ihrer Ankunft begann Lily, mir Fotos zu schicken. Exotische Sonnenuntergänge, erfrischende Cocktails am Pool, endlose Reisfelder – sie schickte mir die perfekte Welt, die sie dort entdeckte.

Ich scrollte durch die Bilder, als eines plötzlich meine Aufmerksamkeit erregte.

Ein Selfie von Lily am Strand, das Sonnenlicht glitzerte auf dem Meer und tauchte sie in ein warmes, goldenes Licht. Ihr Lächeln war strahlend, sie sah wunderschön aus – doch es war nicht das Bild, das mich innehalten ließ.

Es war der Mann an ihrer Seite.

Nicht Eric.

Ein Fremder, mit sonnengebräunter Haut und zerzaustem Haar, ein entspanntes Lächeln, das fast schon zu leicht wirkte.

Er stand viel zu nahe bei ihr – ihre Schultern berührten sich. Die Nähe zwischen den beiden war auffällig. Zu auffällig.

Ich versuchte, das mulmige Gefühl zu verdrängen, das sich in meiner Brust ausbreitete, und antwortete: „Wow, du siehst toll aus! Wer ist der Typ neben dir?“

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Oh, das ist Leo. Wir haben ihn hier im Resort kennengelernt. Er reist mit Freunden. Ein super entspannter Typ!“

Ihre Antwort war zu beiläufig, als hätte sie sich extra Mühe gegeben, es unauffällig klingen zu lassen.

Ich wollte ihr glauben, aber irgendetwas an dieser Situation stimmte nicht. Warum posierte sie mit diesem Mann und nicht mit Eric? Wo war er?

Ich versuchte, mich zu beruhigen, redete mir ein, dass ich mir vielleicht nur zu viele Gedanken machte.

Doch dann kamen immer mehr Fotos.

Bilder von Tempeln, Wanderungen und romantischen Abendessen am Meer. Aber Eric war nie zu sehen.

Stattdessen immer wieder Leo – lachend, plaudernd, immer an ihrer Seite.

Ein Bild zeigte sie und Leo auf einer Schaukel, inmitten der üppigen Natur, als hätten sie sich jahrelang gekannt. Ein anderes zeigte sie im Markt, wie sie Kokosnüsse hielten und sich so vertraut anschauten, als wären sie alte Freunde.

Das war zu viel.

Ich griff zum Telefon und wählte ihre Nummer.

„Mia! Bali ist einfach traumhaft. Du würdest es lieben!“, hörte ich ihre fröhliche Stimme.

Doch ich verschwendete keine Zeit mit Smalltalk.

„Lily, was läuft hier eigentlich?“, fragte ich ohne Umschweife.

Ein Moment der Stille. Dann klang ihre Stimme gedämpft, als sie versuchte, ruhig zu bleiben.

„Was meinst du?“

„Du bist im Honeymoon“, sagte ich, „und schickst mir Bilder mit einem Fremden statt mit deinem Mann. Wo ist Eric?“

Die Antwort kam zögerlich, als ob sie die Worte abwägen würde.

„Er ist hier“, sagte sie schließlich. „Er macht einfach sein eigenes Ding.“

„Sein eigenes Ding?“, wiederholte ich ungläubig.

„Du bist auf deiner Hochzeitsreise, Lily. Was läuft hier wirklich?“

Nach einer Pause flüsterte sie schließlich: „Eric und ich hatten einen großen Streit… an unserer zweiten Nacht hier.“

„Was für ein Streit?“, fragte ich, mein Magen zog sich zusammen.

„Ein Streit, bei dem du merkst, dass du jemanden geheiratet hast, den du nicht wirklich kennst“, gestand sie, ihre Stimme brach leicht.

„Wir kämpfen schon seit Monaten, Mia. Ich dachte, die Hochzeit würde alles richten. Aber nichts hat sich geändert. Es fühlt sich alles irgendwie… falsch an.“

„Und Leo?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon ahnte.

„Er ist einfach ein Freund“, antwortete sie schnell. „Ich habe ihn hier im Resort getroffen. Es tut gut, mit ihm zu reden. Aber das ist alles.“

„Lily“, sagte ich, meine Stimme wurde fester. „Du bist auf deiner Hochzeitsreise. Hörst du dich selbst? Das ist nicht normal.“

„Ich weiß“, flüsterte sie, ihre Stimme zitterte. „Ich weiß, dass es nicht normal ist. Aber ich habe nicht gemerkt, wie schlecht es mir geht, bis jetzt.“

Mein Herz schmerzte für sie, aber in meinem Inneren brodelte auch Wut.

„Weiß Eric von Leo?“, fragte ich.

„Er weiß, dass ich Zeit mit ihm verbringe“, sagte sie. „Aber es ist nicht das, was du denkst. Es ist noch nichts passiert.“

„Noch“, sagte ich kühl.

„Mia, ich tue nichts falsch“, beharrte sie. „Ich brauche einfach Zeit, um herauszufinden, was ich will.“

„Lily, du kannst nicht auf deiner Hochzeitsreise ‘herausfinden, was du willst’“, platzte es aus mir heraus. „Hörst du dich nicht selbst an?“

Für einen Moment herrschte Schweigen. Ich dachte, sie würde auflegen.

„Ich brauche einfach, dass du mir vertraust“, sagte sie schließlich, leise. „Bitte, sag noch niemandem etwas. Noch nicht.“

Ich wollte sie anbrüllen, wollte ihr sagen, wie unverantwortlich sie war. Doch statt dessen seufzte ich nur.

„Okay“, sagte ich, „aber du musst mit Eric reden. Klär das, bevor du zurückkommst.“

„Ich werde es tun“, versprach sie.

Als das Gespräch endete, starrte ich auf das Telefon. Diese Lily war nicht die Schwester, die ich kannte. Die Schwester, die ihr Leben immer in der Hand hatte, die alles bis ins Detail geplant hatte.

Was war nur so schnell schiefgelaufen?

Als Lily und Eric von Bali zurückkamen, versuchten sie, die Fassade aufrechtzuerhalten, als wäre alles in Ordnung.

Doch ich spürte die Spannung zwischen ihnen.

Eric sah sie während der Familienfeiern kaum an, und Lily wich mir aus, als hätte sie ein Geheimnis.

Ein paar Monate später erzählte mir Lily schließlich, dass sie sich scheiden lassen würden. Sie sprach nie wieder über Leo, und ich stellte keine Fragen.

Was auch immer in den Flitterwochen passiert war, es hatte das Ende ihrer Beziehung eingeläutet.

Im Rückblick war dieses Selfie nicht nur ein harmloses Bild.

Es war ein Warnsignal.

Ein Blick auf die Risse in ihrer scheinbar perfekten Welt, die niemand vorher bemerkt hatte.

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